Der Weg nach Wuxi

Der Weg nach Wuxi

Wieder einmal schlage ich etwas Zeit auf dem Flughafen in Shanghai tot. Mein Flieger nach Hause geht um Mitternacht, so dass ich gegen 6:00 Uhr morgens zu Hause ankommen werde. Gerade richtig zum Aufstehen. 

Seit einiger Zeit habe ich einen neuen Kunden in WuXi; das ist etwa 160km von Shanghai Flughafen entfernt. Natuerlich gibt es in der Kleinstadt Wuxi mit um die 2 Mio Einwohnern auch einen Flughafen. Der wird leider nur selten angeflogen. Von Singapore kommt man nicht direkt nach WuXi. Daher habe ich schon alles ausprobiert: Einmal ueber GuangZhou im Sueden von China. Das hat einen Nachteil. In GuangZhou wurde vor ein paar Jahren ein neuer Flugplatz gebaut. Dabei wurde mindestens ein Rekord gebrochen: es wurde auf der groessten Flaeche der kleinste Nutzen untergebracht. Etwas Vergleichbares wuerde entstehen, wenn der Flughafen von Gera auf der Flaeche von London-Heathrow verteilt werden wuerde.

Dazu kommt wahrscheinlich ein weiterer Rekord: Man schafft es regelmaessig, die 2 wichtigen Flugzeuge auf dem gaehnend leeren Flughafen an entgegengesetzten Enden zu parken – das Flugzeug, mit dem ich ankomme und mein abgehender Flieger. Das Problem hat sich wahrscheinlich in der Bevoelkerung von GuangZhou schon rumgesprochen. Daher arbeitet die halbe Stadt schwarz auf dem Flughafen als verdeckte “Reiseleiter”. Das heisst, sie naehern sich vorsichtig und freundlich den voellig erschoepften, unwissend dreinblickenden Ankoemmlingen und bieten ihre Hilfe an. Die Sache klappt dann auch unverzueglich, das heisst man findet seinen Flieger. Mir hat ein solcher “Reiseleiter” auch schon 100 RMB abgenommen. Das sind etwa 10 Euro.

Letztes Wochenende bin ich dann ueber HongKong geflogen. Wesentlich besser. Allerdings bin ich schon am Samstag abgeflogen, um dann eine Nacht in HongKong zu verbringen und am Sonntag noch zwei Stunden nach WuXi zu reisen. Wenn ich das oefter mache, bekomme ich heftigen Aerger zu hause. Die Variante ist also auch nicht so ergiebig.

Vor einigen Wochen habe ich schon einmal die Variante Zug getestet. Vom Zug war ich beeindruckt, das war fast ICE Niveau. Im Schnitt 150 – 170 km/h, sehr sauber und modern. Klasse. Allerdings startet der Kummer lange bevor man im Zug sitzt. In Singapore kann man dafuer keine Tickets kaufen. Also geht man in Shanghai auf dem Hauptbahnhof ein Ticket kaufen. Alles Chinesisch, kein Englisch. Alles hoffnungslos ueberfuellt. Die Ticketschalter (davon gibt es etwa 20) sind leicht an der Menschenmenge zu erkennen. Beim ersten Versuch dieser Art vor einigen Jahren dachte ich noch, es waere ein besonderer Tag, an dem viele Chinesen Reisen wollten. Nun weiss ich: es wollen immer unheimlich viele Chinesen reisen.

Wenn man Kaukasier ist (so heisst die weisse Rasse offiziell) oder Uwe heisst oder beides, hat man einige Vorteile. Es kann passieren, dass irgendwo ein Schalter oeffnet und die nette junge Frau zu Dir winkt. Dann versucht sie mit ihren Englischen Sprachkuensten Dir zu helfen. Danach schliesst der Schalter oft wieder. Nicht schlecht.

Das Ticket hatte ich also. Danach musste ich versuchen, die Zeichen auf dem Ticket mit den Zeichen auf dem Bahnsteig abzugleichen. Alles Chinesisch, kein Englisch! Nun stand ich auf dem Bahnsteig. Leider wusste ich nicht, welchen Wagen, welchen Platz und ob sie mir wirklich erste Klasse gegeben hat. Irgendwie konnte ich eine 3 und eine 11 auf dem Ticket lesen (Manchmal sind die Zahlen auch in Chinesisch. Das ist dann hart). Wenn man jemanden fragen moechte, muss man vorsichtig sein. Chinesen sagen nicht gerne, dass Sie keine Ahnung haben. Sie sagen dann eher irgendetwas. Das kann ins Auge gehen. Leider konnte ich auch niemanden erkennen, der entfernt wie ein Student aussah. Lange rede kurzer Sinn: nachdem in Wagen 3 der Platz 11 besetzt war, fand ich in Wagen 11 meinen Platz Nummer 3. Alles ganz einfach.

Heute, auf dem Rueckweg, habe ich nun die Verbindung ueber Shanghai per Taxi gewaehlt. Du hast bestimmt auch schon mal ein Taxi fuer 160km genommen, oder? In China kein Problem. Leider war mein Fahrer irgendwie nicht so richtig in sein ziemlich neues Fahrzeug – einen Mazda 626 oder so – eingewoehnt. Oder, er wollte sein Fahrzeug schonen. Das war ganz leicht daran zu erkennen, dass er auf der gesamten Strecke von 160km einen riesigen Sicherheitsabstand nach allen vier Richtungen eingehalten hat. Wenn also irgendwo am Horizont ein anderer Wagen aufgetaucht ist, hat er entweder gebremst, beschleunigt oder sich auf den Randstreifen gedraengt, so dass der andere Wagen die anderen fuenf Fahrspuren zur Verfuegung hatte. Apropos beschleunigen: Eigentlich kann man das nicht so bezeichnen. Man hat nichts gespuert. Nach minutenlangen angestrengtem Starren auf die Tachonadel konnte man erahnen, dass da was war.

Als ich vor einigen Wochen das erste mal in meinem Hotel in WuXi untergekommen war, ging ich am Montag morgen nach unten zum Fruehstueck. Da gibt es wirklich alles: alle Fruechte der Welt, Muesli, Chinesisch oder Japanisch und natuerlich auch ein paar grosse, fette Happen fuer unsere Amerikanischen Gaeste. Dabei wurde ich von der netten jungen Empfangsdame gefragt: “Your Room Number, Sir?”. “1506”. “Smoker or Non-Smoker, Sir?”. “Non-Smoker”. “Coffee or Tea, Sir?”. “Coffee”. Am naechsten Morgen begruesste sie mich sehr freundlich. Ich haette wetten koennen, sie konnte sich an mich erinnern. Vielleicht doch nicht. “Your Room Number, Sir?”. “1506”. “Smoker or Non-Smoker, Sir?”. “Non-Smoker”. “Coffee or Tea, Sir?”. “Coffee”. Am Mittwoch dann fragte sie mich, ob ich gut geschlafen haette und wie lange ich bleibe. Dann … “Your Room Number, Sir?”. “1506”. “Smoker or Non-Smoker, Sir?”. “Non-Smoker”. “Coffee or Tea, Sir?”. “Coffee”. Am Donnerstag fragte sie mich, ob ich bis Freitag bleiben wuerde. Dann … “Your Room Number, Sir?”. “1506”. “Smoker or Non-Smoker, Sir?”. “Non-Smoker”. “Coffee or Tea, Sir?”. “Coffee”.

Ich will nur sicher gehen, dass hier keine Missverstaendnisse aufkommen: es war totsicher an jedem Morgen dieselbe junge Frau und ich war immer ich. Die einzige moegliche Schlussfolgerung ist: In diesem Hotel wechseln die Gaeste normalerweise ueber nacht ihre Rauchgewohnheiten, das Zimmer und das Lieblingsgetraenk. Oder???

In China ist es heutzutage eher sauber und etwas aufgeraeumt. Strassen sind alle sehr gut, die Gebaeude sind sehr oft neu und die Menschen sind etwas mehr an Ordnung gewoehnt. Allerdings gibt es wenige Strassenkehrmaschinen. Es gibt jedoch viele, viele Menschen. Es ist leicht, Chinesen zu entdecken, die mit einem Reißigbesen (Du weisst schon, der von Fred Feuerstein) bewaffnet auf einer vierspurigen Autobahn zwischen den Autos herumspringen und den Boden fegen. Das ist kein Witz.

Nachdem ich jetzt etwas gelaestert habe, muss ich auch etwas Gutes bringen: Shanghai Pudong Airport hat gerade ein neues gigantisches Terminal eroeffnet. Das ging aehnlich reibungslos wie vor ein paar Wochen in Singapore. Dahin kann man – wie schon seit vielen Jahren – mit der Maglev fahren, dem Transrapid mit mehr als 430 km/h. wenn ich mir anschaue, wie schnell und immer besser und zielgerichteter sich Asien, insbesondere China entwickelt, wird mir sehr schnell klar, wo Europa in ein paar Dekaden sein wird. Das ist nicht witzig.

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