Über Gewohnheitstiere

Hier ein brandaktueller Bericht aus Singapore:

Jeden Morgen gegen 6.10 Uhr startet bei uns das Autoputzen. Vangie, das ist der Kosename für Evangeline Traspe Fernandez, wacht so etwa gegen 5.52 Uhr auf und kocht ihren und meinen Milchkaffee. Der Muckefuckstellvertreter kommt aus dem Beutelchen, hat etwa so viel Koffein wie eine Kaffeewerbung in der OTZ und wird in meiner Einlitertasse mit 90% Milch aufgefüllt – damit ich kein Herzrasen bekomme. 

Danach greift sich Vangie ihren Eimer, einen Lappen und den Schlauch und wäscht den Wagen. Für alle Nicht-Singapureaner: Seit vier Milliarden und siebzehn Jahren geht die Sonne in Singapore erst gegen 7.00 Uhr auf. Da das Auto wegen seiner Größe nicht ins Haus passt, wird es auf dem Vorplatz gewaschen, der überdacht (kommt nicht von „überdenken”, sondern von „unter einem Dach”) ist. Nun haben aber mein Bruder Jörg und dessen Bruder vor mehr als einem Jahr einen Dämmerungsbewegungsmelder aus D besorgt und angebracht, so dass das Licht automatisch ein- und auch ausschaltet. Das heißt, Vangie muss sich immer schnell genug um das Auto herum bewegen, um das Auto bei Licht zu waschen. Niemand hat ihr jemals gesagt, das Auto um diese Zeit zu reinigen. Und niemand hat ihr jemals gesagt, das Auto jeden Tag zu waschen. Sie fühlt sich einfach schlecht, wenn sie entscheiden muss, ob das Auto schmutzig ist, oder nicht.

Samstags und sonntags wird der Wagen in der Regel nicht vor 9 oder 10 Uhr gebraucht. Es ist nicht sicher, ob er überhaupt gebraucht wird. Nur eins ist absolut sicher: er wurde auch schon um 6.10 Uhr geputzt. Da die Anzahl der Tage mit Bodenfrost hier eher gering ist, passiert das 365-mal im Jahr – jedes Jahr.

Manchmal bewegen wir den Wagen über das Wochenende keinen Schritt, allerdings wird er jeden Morgen um 6.10 Uhr gewaschen, jeden Tag. Die Frage, ob der Wagen schmutzig ist, existiert nicht. Er ist entweder gewaschen oder ungewaschen.

Auch nachdem wir spätabends aus Bali zurückgekommen waren, konnte ich Vangie am nächsten Morgen waschen sehen. Auf meine Frage, ob sie denn auch den Wagen reinigen würde, wenn wir in Urlaub seien, kam die prompte Antwort: Natürlich, er steht doch draußen. Nochmal zum Mitdenken für die Langsameren: Der Wagen wird auch dann jeden Morgen gewaschen, wenn wir mehr als eine Woche in Deutschland verbringen.

Bei einer Durchsicht spielt so etwas wie Ölwechsel oder Kühlwasserprüfung eine untergeordnete Rolle. Die wichtige Anweisung ist: „Messen Sie doch bitte die Dicke der Lackschicht!”

Neulich hat Amy unsere Vangie mächtig durcheinander gebracht. Seit vielen Jahren – eigentlich seit Beginn unserer Zeitrechnung – scheint sie unsere Bettwäsche jede Woche zu wechseln. Das heißt, immer genau dann, wenn mein Kopfkissen nicht mehr nach Lavendel (oder wie heißt die Pflanze mit den großen bunten Blüten, die bei Oma im Hof parkt?) riecht, sondern den mir vertrauten Geruch angenommen hat, kommt wieder ein neuer Bezug mit Lavendel oder so. Das gleiche gilt für den Schlafanzug. Genau dann, wenn ich fühle, dass Schlafanzug und ich eine Einheit bilden, verschwindet er in der Wäsche und hängt noch am selben Tag an der Leine, dreimal die Woche. Amy hat letzte Woche gewagt, Vangie vorzugeschlagen, doch bitte zu überlegen und in Betracht zu ziehen, das Bettzeug nur alle zwei Wochen zu waschen. Da war sie echt sauer.

Was haben wir falsch gemacht? Es ist ja nicht so, dass wir einen schmutzigen Wagen haben wollen, wo eventuell noch zwei Krümel von dem am Vortag verbotenerweise im Wagen gegessenen Keks für einen Tag länger liegenbleiben. Das wollen wir natürlich nicht. Auch ist es nicht in unserem Interesse, die Bettwäsche solange zu benutzen, bis sie sich nicht mehr falten lässt und der Kopfkissenbezug beim Drauflegen bricht. Nein, da sind wir schon etwas wählerisch. Aber irgendwie ist das doch etwas außerirdisch, oder?

Das Ergebnis ist, dass wir uns regelrecht lausig fühlen, wenn wir eine Änderung in Vangies Leben einführen möchten. Dann lassen wir es eben. Das Haus wird dreimal die Woche gesaugt und gewischt, die Treppe wird jede zweite Woche eingekremt und gebohnert, unabhängig davon, ob jemand zu Hause ist oder nicht. Abwasch wird etwa 27 Sekunden nach jedem Gebrauch eines Geschirrs erledigt, Wäsche wird jeden Tag gemacht.

Unser Wäschekorb führt ein elendes Dasein, denn er ist immer leer. Das ist schon gigantisch: ich bringe unsere Wäsche vom Vortag zum Wäschekorb, nehme Anlauf, um den Korb zu öffnen, da schiebt sich plötzlich eine Hand mit einem freundlich lächelnden Gesicht dahinter zwischen mich und Wäschekorb. Keine Chance für den Wäschekorb. Und bevor ich „Kartoffelvollerntemaschine” aussprechen kann, hängt mein Slip schon auf der Leine. Und bevor ich „Mitglied des Politbüros und Vorsitzender des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands” sagen kann, ist das gute Stück zurück im Schrank.

Es ist gut, dass nur wenige Menschen meinen Slip sehen können. Sie würden vermuten, dass ich nur zwei besitze, da der eben gewaschene immer oben drauf landet und ich den dann dummerweise am nächsten Morgen greife. Daher habe ich mit Vangie eine geradezu revolutionäre Änderung besprochen: der gewaschene wandert unter den Stapel. Seitdem entdecke ich jeden Tag neue Schätze.

2 Comments

  1. Uwe

    Fast haette ich es vergessen: die drei Kaninchen mit den Namen Browni, Bibi und Gorilla werden auch jede Woche Dienstags, Donnerstags und Samstags gebadet. Dafuer kommen die in den Eimer und werden mit Wasser gewaschen.
    Ob Vangie dazu auch Waschmittel benutzt, weiss ich nicht. Auch ueber Foenen und Wachsen bin ich mir nicht sicher. Ich weiss aber, dass die Tiere dann in ein Handtuch gesteckt werden, so etwa wie kleine Kinder.
    Ich mache hier keinen Spass.
    Alles wahr
    Uwe

  2. Monika

    Solange die Kaninchen nicht noch getumblert werden ist ja Alles im grünen Bereich 🙂 Hab mich herzhaft amüsiert über die Schreibweise.

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