Brot aus Kairo

Brot aus Kairo

Am ersten Abend nach meinem Eintreffen in Kairo stehe ich auf der Brücke des 6. Oktober, benannt nach dem Jahrestag der Befreiung der ägyptischen Halbinsel Sinai im Jahre 1973. Von hier hat man einen tollen Blick über den Nil und die angrenzenden Gebäude. Meine Kunden haben mich in Laufentfernung in das Ramses Hilton direkt am Nil eingebucht.

Das Hotel bietet auf der einen Seite einen gigantischen Ausblick über den längsten Fluss der Erde mit weiteren sehr gewaltig wirkenden Brücken und auf der anderen Seite auf die Häuserschluchten von Kairo. Gleich nebenan gibt es ein paar Wohnhäuser, die so gar nicht in das Ramses Hilton Umfeld passen. Sie sehen schäbig aus wie so vieles in Kairo. Auf dem Dach des nächstgelegenen Wohnhauses ist offensichtlich eine Wohnung angelegt.

Wenn Du in Singapore eine meist über zwei Stockwerke reichende Wohnung auf dem Dach besitzt, nennst Du diese Penthouse und fühlst Dich dabei wie ein König. Die Familie im Penthouse in Kairo fällt nicht unter die Kategorie König. Alles ist sehr heruntergekommen. Auf der weitläufigen Terrasse vor dem Penthouse liegen verschiedene Baumaterialien wild verstreut. Wahrscheinlich hat die seit dem Bau des Gebäudes – etwa zur Zeit Ramses des II. – niemand weggeräumt. Dazwischen springen die Penthouse-Kinder in zerschlissenen Kleidern herum. Am Abend gibt es oft Geschrei, wenn sich die Penthouse-Eltern in sehr überhöhter Lautstärke unterhalten. Die Unterhaltung ist recht simpel. Es spricht immer nur der Penthouse-Vater, manchmal unterbrochen durch das Bellen des Penthouse-Hundes.

Nun bin ich etwas gespannt auf meinen Job. Da ich eigentlich bisher nichts Beeindruckendes in Kairo entdecken konnte, habe ich keine großen Illusionen. Am nächsten Morgen stehe ich wie verabredet am Hoteleingang, um auf meinen Abholer zu warten. Bei derartigen Gelegenheiten habe ich die schlechte Angewohnheit, mir Leute anzuschauen. Nachdem ich ein erstes, nicht so günstiges Gesamturteil über die Araber gebildet habe, erblicke ich einen Traum von einem Mädchen in der Hotellobby. Sie ist nur leicht dunkelhäutig – so etwa wie meine Tochter nach der Sonnenbank – hat ideale Maße, ein bezauberndes Lächeln und trägt zu schwarzem Kostüm und Killerschuhen zu meinem Erstaunen kein Veil, sondern nur ein sehr leichtes Kopftuch, das das Gesicht freilässt. Sie ist nicht westlich, aber auch nicht vollblut-arabisch. Als Model würde sie nicht durchgehen, da sie glücklicherweise etwas kurz ist. Ideal für meinen Geschmack. Der Tag hat doch noch gut begonnen.

Als ich mir gerade ausmale, was der Tag denn noch so bringen könnte, lächelt mich die Superfrau an und schwebt auf mich zu – mit Eleganz und Würde. Dann begrüßt sie mich mit einem Jahrhundertlächeln und im perfekten Deutsch „Guten Morgen, Herr Doktor Kaufmann.“ Nun weiß ich endgültig, dass der Tag einer der besten werden würde. Danach bringt sie mich zu einem Mercedes, dem einzigen weit und breit, und stellt mir den Fahrer vor. Nachdem ich feststellen durfte, dass der Fahrer kein Fahrer, sondern der zweite Boss des Unternehmens ist, wechsle ich ungern aber schleunigst meinen Sitzplatz, den ich wie im Taxi hinten neben der Dame eingenommen hatte.

Die arabische Schönheit stellt sich als Raiana vor, die mir über die Woche in Kairo helfen soll. Sie sagt mir, sie hätte im Goetheinstitut Deutsch gelernt. Alle Achtung! Endlich mal wieder ein deutsches Unternehmen, auf das ich stolz sein kann. Außerdem spricht sie französisch, englisch und natürlich arabisch. Im Wagen ist es für mich nicht so ganz einfach, meinen Kopf in der richtigen Richtung zu halten.

Das liegt an Muhammad, der neben mir sitzt. Muhammad ist ein sehr netter Mensch mit einem ganzen Sack voller Nachteile: Er hat keine seidene Haut, keine tiefschwarzen Augen, keine wohlgeformten Beine, keine langen Haare. Er trägt einen Bart. Daher muss ich mich ziemlich oft zu Miss World umdrehen … um das Programm zu besprechen. Niemals zuvor hatte ich so viele Fragen zum Ablauf. Eigentlich ist mir das Programm scheißegal, sofern SIE darin vorkommt.

Wir fahren quer durch Kairo. Nachdem wir eine halbe Stunde durch chaotischen Verkehr gekurvt wurden, bin ich nicht mehr so wild, auch wirklich anzukommen, denn bisher hatte ich noch keine Stelle gesehen, an der ich gerne für eine Woche arbeiten wollte. Nach einer weiteren Weile sind wir scheinbar angelangt, da der Wagen an der Straßenseite abgestellt wird. Beim Nähertreten stellt sich das nicht ganz unscheinbare Gebäude als Firmensitz meines Kunden heraus. Offensichtlich ist es Absicht, dass das Gebäude von außen nicht zu glamourös aussieht. Allerdings ist es im Inneren ganz anders. Türknöpfe und andere Details scheinen mit Gold belegt zu sein. An den Wänden gibt es Gemälde, die ich als Nichtkenner als wertvoll einstufen würde. Die Möbel sind vom Allerfeinsten und von daher auch wenig bequem. Die Firma verdient an der Erdölindustrie, was wohl ein sattes Einkommen erzeugt.

Die Kollegen in der Firma sind sehr nett und tun alles, meinen Aufenthalt angenehm zu gestalten. So werde ich an einem der nächsten Tage nach Alexandria gebracht, wo sich auch einige Firmengebäude befinden. Die Fahrt dauert mehr als zwei Stunden. Die Hinfahrt wird auf einer Wüstenstraße durch Gizeh vorbei an den Pyramiden absolviert, während die Rückfahrt durch einige Städte führt. In Alexandria sitzen wir zum Mittag in einem Fischrestaurant am Mittelmehr nicht weit entfernt von der Stelle, wo Alexander der Große abgestiegen war. Am Freitag ist Sonntag, so dass Zeit bleibt, einige Souvenirs zu beschaffen. Überraschung. Mein Kunde hat für den Freitag einen Führer organisiert, der mich zu den Pyramiden bringen soll. Na bitte. Das wollte ich doch eh machen.

Auf dem Weg zu den Pyramiden halten wir an mehreren Basars, um die nötigen Souvenirs zu beschaffen. Das Verhandeln ist hier Pflicht, für mich als geborenen Deutschen allerdings sehr lästig. Eigentlich fühle ich mich dabei immer schlecht. Da mich Miss Traumfrau angewiesen hat, immer zu verhandeln, da sonst der Verkäufer sehr unzufrieden werden könnte, gebe ich mein Bestes. Der andere Teil der Anweisung ist, dass ich nie mehr als die Hälfte zahlen soll. Die Hälfte wovon? Als ich nach einigen nett anzuschauenden Ampullen mit Parfüm Ausschau halte, schwört der Verkäufer, dass das Zeug vergleichbar wäre mit Chanel. Ich werde misstrauisch, nachdem ich ihn von über hundert Pfund auf 22 heruntergehandelt habe. Nun will ich das Zeug auch nicht mehr kaufen, worauf der Verkäufer wütend wird. Na gut, nehme ich die drei Ampullen mit, wohlwissend, dass die Brühe genauso viel mit Chanel zu tun hat, wie mein Florena Rasierwasser. An einem anderen Stand interessiere ich mich für bemalte Teller aus Metall. Das ist ein Fehler. Sofort werde ich von mehreren Verkäufern belästigt, die mir diese Teile verkaufen wollen. Mit neuer Taktik gehe ich ans Werk.

Der Verkäufer bietet „60 Pfund“.

Ich antworte mit einem Abscheu ausdrückenden Lächeln „20 Pfund“.

Der Verkäufer „50 Pfund“.

Ich versuche „18 Pfund“ und betrachte uninteressiert andere Dinge in der Gegend.

Der Verkäufer schaut mich erst ungläubig an. Dann erklärt er mir etwas in Arabisch und bietet noch einmal „50 Pfund“.

Ich antworte „16 Pfund“, worauf sich die Umstehenden nach mir umdrehen und wohl die Frage im Kopf haben, ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte. Mit einem Kopfschütteln ruft der Verkäufer seinen Lehrling herbei, mit dem ich dann noch eine Weile Bieten nach deutschen Regeln spiele. Gerade, als das Ganze beginnt, mir etwas Spaß zu machen, verlieren die Händler das Interesse an mir, worauf ich mir noch einige Dinge in Ruhe ansehen kann, ohne ständig belästigt zu werden.

Bei einem anderen Stopp laufen wir an einer arabischen Bäckerei vorbei. Die ist eigentlich so ähnlich wie Kamps – mit kleinen Unterschieden in den Details. Zuerst sind da keine Fenster am Gebäude. Es ist eigentlich gar kein Gebäude. Es ist eher ein überdachter Hof, in dem drei Tonbackofen stehen, die von fünf Frauen bedient werden. das ist eigentlich besser als bei Kamps, wo der Blick auf die Backöfen versperrt bleibt. Aha, Transparenz in Ägypten. Der Teig wird mit bloßen Händen geknetet. Hygienisch ist fast alles einwandfrei, da die Damen ihre Schuhe vor dem Backzentrum abgelegt haben. Uups, da ist eben eine Hand zum Kratzen an den Fuß gewandert. Wahrscheinlich ist es Teil des Geheimrezepts. Durch die offene Anordnung ist für genügend Lüftung gesorgt. Zusätzlich wird durch die direkt daneben vorbeifahrenden Autos ein Luftstrom erzeugt. Klimatechnisch ist also alles im Lot.

Die fertigen Brote liegen direkt an der Straße auf einem Schaukasten, der eher einer alten Bretterkiste ähnelt. Auch hier ist für die nötige Lüftung gesorgt, da alles offen ist. Die Umweltverschmutzung und Verschwendung von Verpackungsmaterialien ist bei Kamps auch wesentlich höher als bei Cairoback. Hier gibt es keine Kunststofffolien oder Papiertüten.

Allerdings wird das Brot beim Verkauf gereinigt und imprägniert. Das passiert ganz einfach, indem der Verkäufer den Straßenstaub vom Brot bläst und gleichzeitig einen unsichtbaren Film von schützender Körperflüssigkeit über das Brot verbreitet.

Gerne würde ich zugreifen, habe aber leider keine Zeit. Es ist spät und ich muss noch zu den Pyramiden, bevor die Sonne untergeht.

An den Pyramiden angekommen erklärt mir mein Führer, dass er an Klaustrophobie leidet und daher nicht in die Pyramiden hineingehen kann. Na, danke auch. Diese Erkundung heben wir uns also bis zum nächsten Mal auf. Es gibt draußen genügend zu entdecken. Es ist zum Beispiel beeindruckend, die Größe der Pyramidenbausteine zu sehen und sich dann vorzustellen, wie diese riesigen Quader von vielen Tonnen Gewicht vor 4000 Jahren nach Gizeh transportiert und auf die Pyramiden gewuchtet wurden. Unglaublich. Da hätte Hoch-Tief auch heute noch ein Problem. Auch die Sphinx ist gewaltig. Im Film wird die Größe nicht so offensichtlich. Die von Asterix oder Obelix abgebrochene Nase ist immer noch nicht ersetzt worden.

Die nächsten Tage wird gearbeitet, wodurch ich eigentlich nicht mehr sehr viel von Miss World zu sehen bekomme. Abends geht es in der Regel zu irgendwelchen wichtigen Persönlichkeiten zum Abendessen.

Mittlerweile habe ich mich an derartige Abende gewöhnt, mag sie allerdings immer noch nicht wirklich. Ich weiß aber, dass sie besonders im Nahen Osten absolut erforderlich sind. Ohne gesellschaftliche Kontakte gibt es kein Geschäft. Im Nahen Osten haben derartige Veranstaltungen einen großen Nachteil: Es werden sehr selten Frauen eingeladen. Wenn Damen auftreten, dann ist es zur Unterstützung – wie Raiana für mich – oder zur allgemeinen Unterhaltung. Den typischen Harem gibt es immer noch. Auch in Malaysia erlaubt das Gesetz den Moslems einen Mini-Harem – bis zu fünf Frauen.

Nach einer Woche mache ich mich auf den Weg zum Flughafen. Als guter Deutscher habe ich alles gut geplant. So habe ich das Geld für die Flughafensteuer sowie für das Taxi bereit und kann auch dem Hotelboy noch ein Trinkgeld in die Hand drücken. Es sollte also nichts schief gehen. Da hatte ich die Rechnung allerdings ohne gewiefte Kairoer Taxifahrer gemacht. Wahrscheinlich weiß jeder Einwohner von Kairo und auch sonst jeder Nordafrikaner, dass die Flüge nach Deutschland von Terminal zwei abgehen. Der einzige Mensch, der noch nicht herausbekommen hat, dass Deutschland nicht in Ägypten liegt und daher nicht von Terminal eins bedient werden kann, ist mein pfiffiger Taxifahrer.

Nun muss er mich zum anderen Terminal fahren. Gut gemacht. Dadurch macht er etwas mehr Geld und kann daheim berichten, wie doof die Deutschen sind. Daher tickt das Taxameter immer noch, wobei ich ihm mein letztes Geld einschließlich gutes Trinkgeld schon am anderen Terminal gegeben hatte. Das weiß aber nur ich. Als wir ankommen, tue ich so, als ob ich in den Taschen nach Geld suchen würde, während ich immer betrübter dreinschaue. Inzwischen habe ich das Ich-fühle-mich-so-scheiße Gesicht aufgelegt. Ich stelle ihm eine absolut blöde Frage „Akzeptierst Du Visa?“ Er schaut mich mit großen Augen an, bis ich ihm meine Karte unter die Nase halte. Wahrscheinlich war es einfacher, bei Ramses mit Visa zu bezahlen als bei einem Taxifahrer in Kairo.

Ich habe noch eine bessere Frage in meinem Repertoire „Kann ich das Geld überweisen?“ Sein Gesichtsausdruck erinnert ein bisschen an den eines Kindes, dem die Eltern gerade die Geschichte vom babybringenden Storch erzählt haben. Nun habe ich die Idee: Für derartige Zwischenfälle habe ich immer ein paar alte Euroschecks der Deutschen Bank einstecken. Ich kann ihn davon überzeugen, dass er diesen beeindruckenden Scheck zur Bank bringen und dafür Geld erhalten kann. Sehr großzügig schreibe ich einen netten Betrag auf den Scheck, den er etwas widerwillig annimmt und die Kurve kratzt. Nachdem ich in Ägypten so oft über das Ohr gehauen wurde, habe ich zum Schluss doch noch das gute Gefühl, dass ich auch einen reingelegt habe. Dieses Gefühl ist total verabscheuungswürdig – aber toll.

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