Nichts ist unmöglich

Nichts ist unmöglich

“Uwe, what is your career vision?“ war Steves erste Frage während meines Jobinterviews vor vielen Jahren. Was im Englischen ganz normal klingt, war bis dahin in meinem Sprachgebrauch nicht belegt. Sicher ist das ein kultureller Unterschied. Während US-Amerikaner alles als Karriere definieren – vom Basketballstar bis hin zum Straßenreinigungsgehilfen – passt im Deutschen der Begriff Karriere zu Leuten wie Franz Beckenbauer, Robert Bosch oder Angela Merkel. Mit meiner eigenen Karriere hatte ich mich daher bis zu dem Zeitpunkt wenig beschäftigt. 

Aus dem Grunde konnte ich nichts Sinnvolles hervorbringen und fühlte mich etwas wie ein Depp, als ich die gewöhnlichen Antworten gab wie ‚meiner Familie ein gutes Leben sichern‘, ‚meine Kinder durch die Ausbildung bringen‘ und ‚ab und an das Leben genießen‘. Als ich Letzteres vor mich hin nuschelte,  fühlte ich mich schon etwas schlecht. Schließlich sind die Deutschen die Fleißigen in Europa. ‚Leben geniesen‘ passt eher zu den Griechen, Spaniern und Italienern.

Steve half mir mit ein paar gezielten Fragen, meine bisherige Karriere – so es denn eine war – zu überdenken und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen.  Fragen wie „Was macht Dir Spaß, was ist Deine Leidenschaft?“ halfen ebenso, wie die Frage nach den Jobs, die ich bis dahin am meisten genossen hatte. Nach ein paar Minuten Erkundungsfahrt durch meine bisherige Laufbahn brachte ich etwas für mich total Überraschendes hervor: „Ich mag Asien. Ich arbeite gerne in Asien.“

Wie blöd muss man sein, um auf eine ersthafte Frage eine derartige Antwort zu geben, dachte ich. Mit dieser offensichtlichen Blamage war das Thema Karriere für mich abgehakt. Steve hatte sicher meine Antwort als höchst unpassend eingestuft, da seine Firma, für die ich interviewed wurde, in Asien überhaupt nicht existierte. Trotzdem bekam ich den Job.

Allerdings muss ich zugeben, dass die Diskussion mit Steve einige neue Gedankengänge inspiriert hatte. Gedankengänge, die sich mit der persönlichen Vision beschäftigen. Natürlich bin ich mit einer Art Plan aufgewachsen. Nachdem ich in der Unterstufe auf die Frage zu meinem Wunschberuf noch ‚Kosmonaut‘ geantwortet hatte, wurde diese Idee verworfen wegen meiner Aversion zu allem, was sich nicht mit festem Boden unter den Füßen erledigen lässt. Sobald ich in der Lage war, ‚Ingenieur‘ richtig auszusprechen, war das meine bevorzugte Antwort, ohne genau zu wissen, was dahinter steckt. Nachdem die Sache mit dem Ingenieur erreicht war, ging es nur noch um Jobs und nicht mehr um die damit verbundene Vision. Steve brachte mich darauf zurück – zumindest für ein paar Minuten.

Ein paar Jahre später saß ich wieder mit Steve zusammen. Es ging um meine Leistungsbewertung und die Planung für das kommende Jahr. Wie immer wurde dieses Gespräch nicht im Büro, sondern in gelockerter Atmosphäre in einem Hotel irgendwo in Europa durchgeführt. Am Ende des Gesprächs fragte Steve wie aus heiterem Himmel: „Uwe, bist du bereit für Asien?“ Danach erklärte er noch, dass unsere Firma sich entschlossen hatte, ein Büro in Asien zu eröffnen. Und ich war der erste Kandidat für diesen Job. Warum? Ich hatte vor längerer Zeit Asien als meine bevorzugte Wirkungstätte bezeichnet. Ein paar Monate später traf ich mit etwas mehr als Zahnbürste und Schminkkoffer in Singapur ein.

Heute schaue ich darauf zurück und denke etwa das Folgende:

Es ist gut, Träume, Visionen im Leben zu haben, die an entscheidenden Weggabelungen als Orientierungshilfe dienen. Es ist dabei nicht wichtig, dass diese Visionen rational sind. Im Gegenteil: Gute Träume sind nicht rational. Allerdings sind diese Träume nur dann gut, wenn sie von Zeit zu Zeit mit eigenem Zutun gefüttert werden. Wenn dann noch etwas Glück dazu kommt, sollte man nicht erschrecken, wenn der Traum eines Tages in Wirklichkeit umschlägt.

Nichts ist unmöglich.

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