Lauf, Oma, lauf

Studenten

Dieser Wagen hat seinen eigenen Willen”, erklärt Dirk, in dessen Saab ich sitze, während er mich an einem eiskalten Januarmorgen entlang der Alster durch Hamburg  kutschiert. Der Wagen ist eigentlich ein Liebhaberstück: ältestes Modell des Saab 900 mit dem eigenwilligen Design eines Saab eben. Man sieht Saab schon die Herkunft aus dem Flugzeugbau an. So gesehen ist es ein Glück, dass IKEA keine Autos baut. Noch nicht.

Dirks Saab ist ein Cabrio mit allem Schnickschnack. Allerdings muss dieser Wagen wohl der zweite oder dritte sein, den Saab je hergestellt hat. Das Alter spürt man nicht nur an dem eiskalten Luftzug, der trotzt geschlossenem Dach im Inneren weht. Auch die Armaturen sehen aus wie von vorvorgestern. Ich bin ziemlich sicher, dass der Tachometer noch mit Dampf betrieben ist. Im Gegensatz zu Fred Feuerstein muss Dirk nicht mit den Füssen auf dem Boden paddeln. Immerhin gibt es schon einen richtigen Motor mit ziemlich viel Power.

“Was meinst Du mit ‚eigenem Willen‘?” will ich von Dirk wissen. Dirk antwortet ausweichend “Er macht manchmal genau das, was Du nicht willst.” Ich dachte so, dass das eine blöde Ausrede für mangelhafte Fahrkünste sei. Außer bei Herbie im Kino habe ich noch nicht von Fahrzeugen gehört, die machen was sie wollen.

Plötzlich hupt draußen irgendjemand. Eigentlich gibt es dafür keinen Grund, denn die Straße ist fast leer und der Verkehr fließt problemlos. Da hupt es wieder. Jeder weiß, dass Hupen eigentlich sehr rüde ist. Man macht das normalerweise nicht! Hupen ist für den absoluten Ernstfall vorbehalten wie etwa, um eine nukleare Katastrophe zu verhindern. In China ist das anders: wenn einer seinen Wagen fünf Minuten durch den Verkehr bewegt, ohne zu hupen, ist er entweder ernsthaft krank oder hat keine Hupe.

Ich kann keinen Ernstfall erkennen – und China ist weit weg. Aber dieser Idiot hupt weiter – unrhythmisch und ohne erkennbaren Anlass.

“Siehst Du, was ich meine?” fragt Dirk. Jetzt verstehe ich. Dirks Wagen hupt.

“Und – Du kannst das nicht abstellen?”

“Nö, habe es ja auch nicht angestellt”, erklärt Dirk nach ein paar Tritten gegen die Innenverkleidung und einigen heftigen Schlägen gegen die Hupfläche auf dem Lenkrad und das Armaturenbrett. Er scheint sich aber damit abgefunden zu haben.

“Das passiert ab und zu mal”, gibt er zu. Wenn ich bedenke, dass ich schon nervös werde, wenn ich ein feines, ungewohntes Geräusch in meinem Wagen höre, wundere ich mich über Dirks Toleranz.

Nun muss man wissen, dass Dirk technisch nicht eben begabt ist. Er ist zwar Besitzer eines Baumarkts; aber ich bin ziemlich sicher, dass er die meisten seiner Produkte nur vom Hören-Sagen kennt – wenn überhaupt. Bekommt er einen neuen Laptop-Computer, schlägt er im Handbuch nach, um den Einschalter zu finden.

Nach einem typisch deutschen Frostschadenschlagloch gibt es wieder Hupen. Die Passanten drehen die Köpfe. Es wird etwas peinlich. Dann ist endlich Ruhe. Gott sei Dank. Als wir langsam an der Innenalster entlang fahren, geraten wir auf Pflaster – und eine uralte Dame auf Gehhilfe passiert einen Zebrastreifen vor unserer Nase, so dass Dirk stoppen muss. Sie ist nicht mehr die Schnellste und muss sich etwas Zeit nehmen.

Plötzlich beginnt Dirks Wagen zu Hupen. Einmal, zweimal, dreimal. Die alte Dame hat sichtlich Probleme, ihren Kopf zu drehen, schafft es aber und wirft einen vorwurfsvollen, bitterbösen Blick in unsere Richtung. Stille. Sie geht weiter. Wieder Hupen. Die Dame ist stinksauer. Sie schüttelt den Kopf. Die Passanten drehen sich nach uns um. Einer zeigt einen Vogel, ein anderer erklärt, dass wir eine Scheibe hätten. Die Dame hebt ihre Gehhilfe und deutet in unsere Richtung.

Wir haben ein Scheißgefühl. Man stelle sich das vor: mitten im exklusiven Viertel von Hamburg geht eine arme alte Dame auf Krücken über einen Zebrastreifen, vor dem ein paar Idioten im Wagen energisch hupen – scheinbar um die Dame zu bewegen, doch bitte auf den Krücken etwas schneller zu laufen. Das klingt nur dann lustig, wenn Du nicht einer der Idioten bist, die im Wagen sitzen. Es ist gut, dass keine Polizei in der Nähe ist. Aber die Blicke der Umstehenden sind viel schlimmer. Wir werden immer kleiner hinter dem Armaturenbrett.

Nachdem Oma es geschafft hat, machen wir uns schleunigst aus dem Staub.

Ich denke nicht, dass ich noch einmal bei Dirk mitfahren werde. Auch nicht als Saab-Fan. Und – Hamburg besuche ich nur noch Inkognito.

2 Comments

  1. Susanne Kretschmer

    … witzig und immer wieder schön, wie im Alltag skurrile Situationen entstehen. Es macht Freude, Deine Berichte und Geschichten zu lesen.
    Auf dem Buchmarkt findet sich von Dir leider nur dröge Sachliteratur 😉 .
    Ich stelle mir gut vor, daß solche Kurzgeschichten, – gerne auch als Hörbuch eingesprochen – ein interessiertes Klientel erreichen und erheitern könnten.
    Im Verwandten- und Freundeskreis sorge ich für Verbreitung, kommt jedenfalls prima an.
    So, lieber Uwe, das Jahr geht auf sein Ende zu. Dir und deiner Familie viele gute Wünsche für 2023, bleibt gesund und möge es auf der Welt friedlicher werden.

  2. UK

    Vielen Dank, liebe Susanne. Sehr nett von Dir.
    Euch ebenso ein friedlicheres, gesünderes und glückliches Neues Jahr. 🙂

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