Vom 01. Februar 2022 bis 21. Januar 2023 haben wir im östlichen Teil der Welt das Jahr des Tigers, genauer gesagt, das Jahr des Wasser-Tigers. Während sich die Tierkreiszeichen wie Tiger alle zwölf Jahre wiederholen, gibt es den Wasser-Tiger nur alle 60 Jahre. Dazwischen kommt der Tiger als Holz-, Metall-, Feuer- und Erde-Tiger. Hier mehr dazu.
Der Tiger ist durch Stärke und Mut geprägt und hat die Gabe, das Böse auszutreiben oder zu verhindern. Wasser-Tiger (geboren 1962, 2022) sind die eher emotionalen, besonnenen und umsichtigen Tiger. Die schwimmen auch mal mit dem Strom und brauchen eine Weile, um eine gute Entscheidung zu treffen. Sie stehen ganz im Gegensatz zu den rastlosen, leichtsinnigen Holz-Tigern (geboren 1974), den ungebremsten, spontanen und mitreißenden Feuer-Tigern (1986), den warmherzigen, humorvollen und intelligenten Erde-Tigern (1938, 1998) und den konzentrierten, gefühlsarmen und radikalen Metall-Tigern (1950, 2010).
Im Tigerjahr haben Ochsen- und Ziegengeborene viel Glück (Du kennst Deinen Zodiak nicht?). Affen, Schlangen, Ratten, Schweine und Hunde müssen sich mehr in’s Zeug legen, damit in diesem Jahr etwas gelingt. Hasen, Drachen, Pferde und Gockel sollten weniger Probleme haben, Geld zu verdienen. Es gibt unendlich viele Quellen, die sehr detailliert Auskunft über Glück, Liebe, Einkommen, Gesundheit etc. bestimmter Tierkreiszeichen im Tigerjahr geben.
Beispielsweise bin ich ein Schwein. Und das steht für mich ins Haus:
- Schweine werden sich im Tigerjahr mit dem Partner streiten. Durch friedliche und beherrschte Gespräche wird Stress vermieden. Das kann ich gut.
- Schweine können in diesem Jahr einen Karrieresprung machen. Wohin soll ich dann bitte springen?
- Schweine können zwar Geld verdienen in 2022, reich werden sie aber nicht. Dann überlass ich das mal dem Pferd.
- Glücksfarben sind gelb, grün und schwarz. Das macht mir die Auswahl recht leicht.
Die Chinesen glauben, was sie am Beginn eines neuen Jahres anstellen, wirkt sich auf den Rest des Jahres aus.
Regeln für das chinesische Neujahr
Daher gibt es ein paar feste Regeln für jedes Neujahrsfest bei den Chinesen. Hier die wichtigsten für den ersten Tag des neuen Jahres, also in diesem Jahr für den 1. Februar:
- Das Schneiden oder Waschen der Haare wäscht das Glück heraus. Das chinesische Wort für Haar ist dasselbe, das auch im Begriff “Reichwerden” steckt. Sowas schneidest Du doch nicht weg oder wäschst es heraus, oder? Also werde ich mich am Dienstag zwingen, meine Haare nicht zu behandeln.
- Die Waschmaschine und die Waschutensilien sollten ruhen, da der Wassergott dann Geburtstag hat. Der sollte respektiert werden. Das Ausleeren des Waschwassers würde dem Ausgießen von Wohlstand gleichen.
- Glück und Wohlstand würden auch mit dem Besen herausgekehrt. Also bleiben Besen und Staubsauger am Dienstag ungenutzt.
- Stricken, Nähen und Häkeln sind ebenfalls vom ersten bis fünften Tag streng verboten. Diese Tätigkeiten sind “harte Arbeit” und würden sich dann für die restlichen Tage des Jahres wiederholen. Also bleibt der Knopf erstmal hängen.
- Reissuppe wird nicht angeboten, da diese Art billiges Essen auf kommende Armut hindeuten würde. Wir werden dann vom Feinsten auftafeln.
- Schlechte Worte sind ebenfalls nicht gestattet. “Tod” bringt den Tod. “Sch…” bringt “Sch…
Für die restlichen Tage des Neujahrsfestes, also für zwei Wochen, gibt es ebenfalls Regeln:
- Nicht weinen. Weinen bringt Unglück. Wer im Neujahrsfest weint, heult für den Großteil des Jahres.
- Kein Porzellan zerschlagen. Das würde auf etwas Zerbrochenes hinweisen, was sich dann im Jahr wiederholen würde. Das wären ebenfalls zerbrochene Freundschaften, zerbrochene Ehen usw. Ich weiß nicht, ob das auch funktioniert, wenn Du den Partner vergraulen willst.
- Keine Medizin und Hospitalbesuche an den ersten Tagen des neuen Jahres, da sonst Krankheit für den Rest des Jahres vorherrschen würde. Vermeide also bitte Alka Seltzer bei Kater.
Die Liste dieser Regeln ist noch wesentlich länger. Und ich habe das Gefühl, dass diese Regeln dem Erfindungsreichtum der Chinesen entspringen. Oftmals sind diese Regeln auch aus der Sprache entstanden. Viele Worte klingen im Chinesischen ähnlich oder sogar gleich wie Worte mit einer gänzlich anderen Bedeutung.
Zum Beispiel sollten keine Geldgeschenke im Wert von 4 oder 40 oder 400 Dollar überreicht werden, da “vier” genauso klingt wie “tot”. Wer möchte schon dem Anderen den Tod wünschen. Wenn Du jemanden nicht magst, schenkst Du ein Tütchen mit 44 Dollar. Oder besser: 14 Dollar, das ausgesprochen wird wie “Der Tod ist sicher.”
Das ist besonders an den ersten Neujahrstagen wichtig, weil dann jeder die kleinen Tütchen mit Geld verschenkt. Unsere Reinigungsfrauen, Bus- und Taxifahrer, Abfallentsorgungsfachangestellte, Verkäufer, Wachleute etc. erhalten alle diese kleinen Tütchen.
Das Rote Tütchen
Außerdem sind Geschenke nur in geraden Zahlen auszugeben, also nicht eine, sondern zwei Orangen. Nicht zehn, sondern zwanzig Dollar. Am besten 88 Dollar, da das die absolute Glückzahl ist.
Unser Konto verringert sich an diesen Tagen um Tausende. Die größten Beträge gehen an die Kinder mit einigen hundert Dollar. Jeder Dienstleister bekommt an diesen Tagen einige zig Dollar von uns. Und das streckt sich über viele Tage. Daher stellen unsere Wachen, Reinigungskräfte und so weiter sicher, dass sie mindestens einmal Dienst haben. Und Geben ist etwas Gutes. Es bringt zumindest ein Lächeln vom Beschenkten. Und eine gute Tat wird irgendwann belohnt – glauben wir.
Das Rote Tütchen – Ang Pao – gibt es auch zu Hochzeiten und anderen Feierlichkeiten. Zur Hochzeit eines Freundes haben wir dem Brautpaar neulich mehrere Hundert in das Tütchen gepackt.
In der Familie ist diese Zeremonie noch etwas strenger. Zuerst müssen die Kinder den Eltern je zwei der mitgebrachten Orangen überreichen, wobei gute Wünsche für das neue Jahr aufgesagt werden, die sich gerne reimen dürfen. Erst danach erhalten die Kinder von den Eltern die Tütchen und die dazugehörigen Wünsche. Die Wünsche sollten Sinn machen und für den aktuellen Lebensabschnitt angebracht sein. Das Dahermurmeln der Standardwünsche für Gesundheit ist nicht akzeptiert. Das geht viel besser.
Mit zwei verheirateten Kindern bekommen und übermitteln wir dann am Neujahrstag insgesamt 16 Wünsche.
Familientreffen
In diesem Jahr verläuft das chinesische Neujahr im Orient etwas anders als noch 2020. Wir dürfen nur fünf Personen pro Tag einladen. Das ist ok für uns am ersten Tag, dem Neujahrstag. Andere Familien sind da etwas limitiert.
Spätestens am zweiten Tag, also am Mittwoch würden wir normalerweise – wie mehr als eine Milliarde Chinesen im Rest der Welt auch – Amys Familie besuchen. Das bringt üblicherweise mehr als 40 Personen bei Speisen und Gesprächen zusammen. Getrunken wird dabei fast nichts alkoholisches. In diesem Jahr haben wir leider Termin auf Zoom.
In China sind diese Tage durch eine riesige Völkerwanderung geprägt. Immer wandern die Kinder, die vielleicht irgendwo in der Stadt einen tollen Job zur Synthese von Viren im Labor gefunden haben, zu ihren Eltern, die ihr Dorf nicht verlassen wollen und dort auf den Virus warten. Es wird gesagt, dass die Völkerwanderung um das chinesische Neujahr die größte Bewegung von Menschen auf unserem Planeten darstellt.
Leider gibt es eine derartige Wanderung in diesem Jahr wieder nicht.
Aber wir werden etwas draus machen. Wir werden unsere Kinder hier haben und die Tradition wie immer etwas brechen. Eigentlich sind verheiratete Söhne am ersten Tag des neuen Jahres bei den eigenen Eltern und am zweiten bei den Schwiegereltern. Unsere verheirateten Töchter schlagen dagegen in jedem Jahr am Neujahrstag bei uns auf. Während das in China für viele einen Flug dazwischen bedeuten würde, ist in Singapur alles in Laufentfernung. Fast.
Alles Gute zum Jahr des Tigers.
Herzlich,
Uwe