Vor etlichen Jahren wurde ich von General Electric eingestellt, um den Amerikanern in deren deutschen Banken bei der Prozessoptimierung zu helfen. Dazu durfte ich viele Wochen in entsprechenden Trainings in London und Stamford/Connecticut zubringen. Das erste Training erstreckte sich über eine Woche und wurde in einem Flughafenhotel in Heathrow ausgerichtet.
Von diesem Training hatte ich weniger als die Hälfte verstanden. Das lag nicht so sehr am komplizierten Stoff, sondern vielmehr an den Trainern. Die Woche wurde von drei Trainern geleitet. Mit der Dame aus San Francisco kam ich gut zurecht. Allerdings verbrachte ich auch nach ihrer Vorlesung die halbe Nacht mit dem Wörterbuch, um den Stoff vollständig zu verstehen. Der zweite Trainer kam aus Chicago und war in seinem Englisch doch etwas fremdartig. Der dritte Trainer war Glasgower und hatte wohl vorher nie eine Minute außerhalb von Schottland zugebracht, so dass sein Englisch für mich total unverständlich war. Das kann allerdings auch daran gelegen haben, dass ich bis dahin nie eine Minute in Schottland zugebracht hatte. Er hätte seine Vorlesung auch in Swahili halten können mit dem gleichen Effekt.
Nach einem halben Jahr mit einer Woche knallharten Trainings pro Monat konnte ich meine Prüfung in Stamford bestehen. In jeder der sechs Trainingswochen wurde ein 500 bis 600 seitiger Ordner ausgegeben. Zuerst musste ich das Englische verarbeiten und dann den Stoff verdauen. Nie zuvor und auch nicht danach hatte ich so hart gelernt. Allerdings war ich einer der wenigen Deutschen, die diese Mühle durchlaufen hatten und dann bei den nächsten Schritten helfen konnten. So wurde ich nicht nur in unserem Unternehmen in Köln, sondern auch in anderen deutschsprachigen Unternehmen gebraucht. Einer der ersten Schritte in jedem Unternehmen war die Ausbildung der Führungskräfte. So durfte ich durch mehrere General Electric Banken in Österreich, der Schweiz und auch in Deutschland tingeln und den Bossen etwas von Organisationsentwicklung erklären. Das war eine anspruchsvolle aber auch sehr dankbare Aufgabe.
Als ich den Anruf von einer GE-Bank in Zürich bekam, war ich daher nicht sonderlich erstaunt. Der Workshop-Termin wurde auf deren Wunsch auf ein Wochenende gelegt, der Flug gebucht und dann ging es los. Am Abend vor meinem zweitägigen Job wurde ich dann doch etwas nervös. Schließlich hatte ich ein Wochenende in der Führungsetage einer nicht ganz kleinen Schweizer Bank vor mir.
Nachdem ich am Morgen den Raum perfekt vorbereitet hatte, trudelten die Teilnehmer, die Hälfte Schweizer und die andere Hälfte passabel deutschsprechende GE-Ausländer, ein. Am pünktlichen Start genau um neun konnte ich merken, dass die Amerikaner sich den Schweizern zumindest in diesem Punkt angepasst hatten. Als Herr Passardi seine Eröffnungsrede gab, waren alle ziemlich locker drauf, und mir ging es zusehends besser. Ich hatte keine Lust, mir mein Wochenende mit trockenen Bänkern in Zürich um die Ohren zu schlagen.
„Ich danke Herrn Luciano Pavarotti für die Einleitung und …“, ich konnte nicht fortfahren, da der gesamte Raum grölte. Nicht sofort bekam ich den Grund für die Erheiterung mit. Ich musste wohl ziemlich hilflos dreingeschaut haben, als der nahe sitzende Finanzboss mir mit einem breiten Grinsen erklärte, dass ich den Boss des Unternehmens, Herrn Luciano Passardi gerade eben als Luciano Pavarotti angesprochen hatte. Mit meinem hochroten Kopf hätte ich sicher spielend jede Ampelkreuzung stillgelegt. Nach dem Versprecher meines Lebens hätte ich gerne sterben oder zumindest in der Erde versinken wollen. In Sekundenschnelle analysierte ich, dass jede Flucht schäbig aussehen würde und eine Vertretung natürlich nicht zur Verfügung stand. Also musste ich da jetzt durch.
Zu meiner absoluten Verwunderung war ich wohl der Einzige, der die Sache so ernst sah. Die etwa zwanzig Teilnehmer im Raum beruhigten sich schnell und gaben mir die Möglichkeit, zum Stoff zurückzukehren. Auch musste ich mich nicht wirklich bei Luciano Passardi entschuldigen, da er wohl an meinem Kopf sehen konnte, in welcher schlechten Verfassung ich war. Er machte das wirklich Beste für mich und lachte herzhaft mit.
So hatten wir nach meiner persönlichen Katastrophe noch einen sehr angenehmen Workshop mit viel guter Laune und mehreren herzhaften Lachern auf meine Kosten immer dann, wenn bei passender Gelegenheit wieder auf Luciano Pavarotti verwiesen wurde. Nach ein paar Stunden konnte ich gut mitlachen.