Eine Woche im Vulkan

Eine Woche im Vulkan
Manila, Philippines

In Manila angekommen werde ich in einem noblen Hotel einquartiert, bevor die Fahrt am nächsten Tag weiter geht nach Taal in den Süden auf der philippinischen Hauptinsel Luzon. Taal ist ein erkalteter Vulkan – jedenfalls sagt man das – in dem mittlerweile ein fruchtbarer See mit interessanter Flora und Fauna auf einer Größe von 25 mal 18 Kilometern entstanden ist. Inmitten des Sees gibt es einen Vulkankrater, der als Insel aus dem Wasser ragt. Der Vulkan im Vulkan.

Die Fahrt dauert etwa drei Stunden bei einer Strecke, die auf einer deutschen Autobahn in einer reichlichen halben Stunde erledigt wäre. Autobahnen gibt es nicht und die Straßen haben den Zustand von Waldwegen. Oft geht es durch kleine Dörfer, wo immer Imbissbuden an der Straße stehen. Davon esse ich eigentlich nur, nachdem ich drei Tage ohne Nahrung auskommen musste. Viele der Speisen sind sehr exotisch. Den absoluten Renner auf meiner Speisekarte bildet Balut. Balut ist ein lebendes Entenei, das am 18. Tag nach dem Erpeltritt gekocht serviert wird. Das “perfekte Balut” zeigt beim Öffnen schleimige Federn und den Schnabel. Auf den Philippinen wurde mir Balut mehrfach angeboten, und bisher konnte ich es immer irgendwie vermeiden, Entenküken aus dem Ei zu essen – so auch auf der Fahrt nach Taal.

Im Vulkan angekommen zeigt sich eine atemberaubende Landschaft. Das Trainingscamp meines Kunden befindet sich auf dem Gebiet einer ehemaligen Kokosplantage, die von einem hohen Zaun und Wachtürmen umgeben ist. Allerdings erstreckt sich der Zaun auch entlang des Sees. Auf meine Frage wird mir erläutert, dass durch diese Sicherheitsmaßnahmen Entführungen und Raub verhindert werden sollen. Eigentlich habe ich nicht vor, jemanden zu berauben oder zu entführen. Auf meine Frage, wieso ich denn nicht im See schwimmen solle, warnt man mich vor gefährlichen Wasserschlangen, die wohl hier eine besondere Spezies ausgebildet haben.

Das ehemalige Herrenhaus bildet das Hauptgebäude mit sehr angenehmen Räumlichkeiten und einem Swimmingpool in angemessener Größe. Ziemlich jedes feste Haus in diesem Teil von Asien hat einen Swimmingpool, der allerdings oftmals nicht wesentlich größer ist, als Mutters Gartenteich. Die ehemaligen Nebengebäude der Farmarbeiter sind modernisiert und dienen als Unterkünfte. Daneben gibt es einige Sportanlagen und einen riesigen Park mit Affen auf den Kokosbäumen und allerlei anderen Tieren wie den überall in Asien vorkommenden kleineren Eidechsen und größeren Echsen. Die bis zu zwei Meter langen Tiere lassen sich aus der Nähe beobachten. In Singapore hatten wir die schon im Haus, hier auf den Philippinen kann man denen fast auf den Schwanz treten, wobei auch nichts passiert, da die nicht so aggressiv sind, wie ihre etwas größeren Vettern von der Vulkaninsel Komodo, die auch schon mal einen Ochsen erlegen. Nach dem Einzug in mein Quartier bin ich etwas ernüchtert, denn es gibt keine Klimaanlage. In diesem Teil der Welt ist die Temperatur eigentlich immer jenseits der 30 Grad. Dafür habe ich einen Lüfter. Toll.

Es wird wie immer sehr früh dunkel. Um halb sieben beginnt es und um sieben ist es Nacht, so dass ich mich auf mein Zimmer verziehe. Nach dem Dunkelwerden höre ich merkwürdige brüllende Geräusche vor dem Haus. Bein Heraustreten bemerke ich in der Dunkelheit, dass sich die Silhouette des Weges zum Haupthaus etwas verändert haben muss. Überall auf und am Weg gibt es dunkle Haufen in der Größe von gewaltigen Kuhfladen. Beim vorsichtigen Herantreten stelle ich fest, dass diese Haufen leben und offensichtlich die Geräusche in tiefen Basstonlagen erzeugen, die beim Annähern verstummen. Die Haufen bewegen sich langsam, nicht eilig, zur Seite, so dass ich passieren kann.

Natürlich bin ich etwas beunruhigt, da diese Haufen wirklich nicht klein sind. Ich frage die Einheimischen, die mir eine beeindruckende Tierart in Natur vorstellen: Gigantische Philippinische Kröten. Jetzt weiß ich, weshalb die den Namen haben: die sind wirklich groß, von 10 bis zu 25 Zentimetern lang und bis zu mehreren Kilo schwer. Uuups.

Wieder in meiner Unterkunft und auf dem Bett liegend werde ich anderer Zeitgenossen gewahr: da hängen Geckos an der Decke. Normalerweise sind die überall im Hause anzutreffen und machen niemanden nervös. Im Gegenteil, sie fungieren als Fliegenfänger. Allerdings ist es wegen der fehlenden Klimaanlage das erste Mal, dass die über dem Bett hängen. Mit einigem Unbehagen lege ich mich aufs Bett und versuche einzuschlafen. Stell Dir einfach ein deutsches Gewächshaus vor, in dem etwa 25 Grad herrschen, leg noch ein paar Grad drauf, denn auf den Philippinen ist es im Landesinneren noch heißer als in Singapore oder Hong Kong, die beide im Meer liegen. Dann kannst Du Dir vorstellen, wie leicht das Einschlafen fällt.

Am nächsten Morgen gehe ich früh zum Schwimmen und mache mich dann auf den Weg zum Frühstück uns Haupthaus, wo schon die Klimaanlage läuft. Ich treffe meine Kunden, von denen die Mehrheit Damen sind. Es gibt Vertreter von namhaften Firmen wie Texas Instruments, Motorola, Philips und Toshiba. Beim Frühstück bin ich überrascht über die Essgewohnheiten. Die zierlichen, hübschen Mädchen vertilgen eine ordentliche Portion Reis mit Geflügelfleisch oder Fisch und dazu wenig Kaffee, sondern viel Tee oder Kokosmilch. Zum Mittag das gleiche Spiel. Und auch zum Abendessen putzen alle Teilnehmer ordentliche Portionen weg. (Wenn ich so essen würde, sähe der Bulle von Tölz neben mir wie ein Strichmännchen aus.) Neben dem obligatorischen Reis gibt es unterschiedliche Beilagen und immer Kokosmilch und andere kokoshaltige Speisen. Der Grund dafür ist die Lage unseres Camps: wir wohnen eben auf einer Kokosplantage. Schon am frühen Morgen sehe ich Männer barfuß die Palmen hochklettern, an den Kokosnüssen klopfen und die reiferen aus großer Höhe auf den Boden werfen. Danach gibt es die typischen hämmernden, schabenden oder raspelnden Geräusche hinterm Haus, die die Vorbereitung von Kokosspeisen anzeigen.

Nach dem Frühstück geht‘s an die Arbeit in den Besprechungsraum, einen mit einfachen Tischen und Stühlen besetzten kleinen Saal, in dem das dominierende Möbelstück eine Klimaanlage in der Größe eines ausgewachsenen zweitürigen Kühlschrankes ist. Es ist stickig im Raum und wir fragen uns, wieso die Klimaanlage nicht läuft. Nach dem Einschalten dieser wird es sofort klar. Ein ohrenbetäubendes Dröhnen erfüllt den Raum, das Haus und wahrscheinlich große Teile des angrenzenden Urwalds. Meine Befürchtung ist, dass der seit etwa 500 000 Jahren untätige Vulkan wieder zum Leben erweckt wird. Nach einigen Gesprächen mit den Hausherren weiß ich, dass dieses Ungetüm die einzige Klimaanlage für diesen Raum darstellt und auch kein anderer Raum verfügbar ist.

Der erste Tag wird zum Testlauf für Veranstaltungen ohne Klimaanlage unter der heißen philippinischen Sonne. Das geht so: der Panzer – so haben wir die Klimaanlage getauft – wird für fünfzehn Minuten eingeschaltet, nachdem alle den Raum verlassen haben und Türen sowie Fenster geschlossen sind. (Fünfzehn Minuten ist unsere geplante Pausenzeit.) Dann stellen sich alle Teilnehmer vor der geschlossenen Tür auf, die dann – immer noch unter dem Dröhnen des Panzers – blitzartig aufgerissen wird. In einer Spitzenzeit, die einen Boxenstopp in der Formel 1 wie eine Alt-Männer-Veranstaltung aussehen lässt, strömen wir schwitzend zurück in den abgekühlten Raum, bevor wir die Tür schließen, die Klimaanlage ausschalten und geschwind mit dem Workshop fortfahren. Eigentlich sofort lässt die angenehme Kühle von etwa 24 Grad nach und die Hitze kommt durch. Nach etwa 30 bis 45 Minuten ist es so heiß, dass man den Raum verlassen muss, um ihn unter ohrenbetäubendem Dröhnen wieder herunter zu kühlen. Der Test des Workshops mit Klimaanlage wurde nach schon vier Minuten abgebrochen, da kein gesprochenes Wort hörbar war. Nach dem ersten Tag sind wir sichtlich gerädert – nicht von der Hitze, sondern vom Heraus- und Hineinrennen.

Am Dienstag nach dem Mittagessen wird plötzlich unser Projektor dunkel und das Licht geht aus. Seelenruhig wird mir von den Kollegen im Raum erklärt, dass das ein sogenannter Brown-Out ist, ein geplanter Black-Out. Da die auf den Philippinen generierte Energie nicht für alle Verbraucher auf den etwa 17 000 Inseln ausreicht, wird eine Dunkelphase über die Inseln geschaltet. Dienstags und donnerstags ist die Dunkelphase eben für zwei Stunden bei uns. Wir lassen uns dadurch nicht wesentlich ablenken, sondern planen Gruppenarbeiten unter Palmen oder am Pool.

Wie oft im Leben ist es auch hier so, dass wir uns an den Tagesablauf gewöhnen, dabei unheimlich viel Spaß haben und nach einer Woche eine gelungene Veranstaltung abrechnen können. Das geht nur, wenn alle Beteiligten mit etwas undeutscher Flexibilität ans Werk gehen und dabei immer unterstellen, dass derartige Dinge eben passieren, sie nicht das Werk irgendwelcher böser Menschen sind und es weitaus Schlimmeres geben kann.

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