Für eine amerikanische Firma zu arbeiten ist oftmals eine gute Sache. Ein Vorteil ist, dass Du dabei zwangsläufig Gelegenheit bekommst, Dich kulturell weiterzubilden.
Beim Eintreffen am Hauptfirmensitz in Stamford im US Staat Connecticut bin ich sauber in einen schwarzen Anzug verpackt, wie ich ihn in unserer Bank in Köln fast jeden Tag trage. Dazu natürlich Krawatte und hellblaues Hemd. So sehen deutsche Banker eben aus. Allerdings ist mein erster Eindruck, abgleitet von der Umgebung unserer Firmenzentrale, etwas gemischt. Da gibt es Leute, die aussehen, wie ich auch. Die große Mehrzahl allerdings scheint in den kundenabgewandten Bereichen der Bank zu arbeiten, wo Du eben auch in T-Shirt und kurzen Hosen sitzen kannst.
Ich bin hier, um meinen obersten Personalchef zu treffen. Der ist verantwortlich für mehrere tausend Mitarbeiter in quasi allen wichtigen Ländern dieser Welt. Natürlich bin ich nervös. Das Meeting ist für 14:00h angesetzt. Da ich wie eigentlich immer etwas früh dran bin, werde ich nach der Anmeldung in eine Art Besprechungsraum gebracht. Durch die Glaswände kann ich auch von hier aus wunderbar Menschen beobachten. Es scheint eine sehr lockere Firmenkultur zu herrschen. Alle scheinen sehr entspannt und freundlich.
Nach dem Warten auf 14:00h hat Gott das Warten nach 14:00h gesetzt. Aber ich habe keine Eile. Schließlich geht mein Flieger zurück nach Hause erst am nächsten Tag. So schaue ich mich um. Draußen vor der Tür sitzt die Sekretärin, die heutzutage in amerikanischen Unternehmen PA, Persönliche Assistentin, heißt und genau das gleiche macht, wie unsere Sekretärin. Dazu zählt auch die Kommunikation mit allen Mitarbeitern. Jetzt beispielsweise steht ein bulliger Mitt’ziger neben ihr, und sie unterhalten sich angeregt. Es ist wohl der Haustechniker oder so. Während die Sekretärin addrett gekleidet ist, kommt er wohl gerade vom Segelausflug. Er trägt eine vorn und hinten ausgebeulte Khakihose, wie ich sie nur im allerbittersten Notfall anziehen würde. Dazu gibt es ein Hemd der Marke „Regenbogen Plus“, auf dem alle Farben dieser Welt irgendwo einen Platz gefunden haben. Mein deutscher Chef würde mich beim Anblick dieses Kleidungsstücks mit dem Hinweis auf Hawaiihemd oder so aus dem Büro verbannen. Die mit Lederschnüren geränderten Schuhe hat er wohl einem Indianer gestohlen, der dafür jetzt in schwarzen Halbschuhen herumlaufen muss.
Das Gespräch mit dem Haustechniker dauert eine geraume Zeit. Die Sekretärin weist während der Unterhaltung in meine Richtung und lächelt. Sicher machen sich beide über den im schwarzen Anzug dumm dreinblickenden Deutschen lustig. Vielleicht hat sie dem Techniker auch nur mitgeteilt, dass die Klimaanlage in meinem Besprechnungsraum nicht funktioniert, denn er kommt geradewegs in meine Richtung. Noch dazu lächelt er mich an und stellt sich mir vor.
„Hallo, ich bin Bob.“
Das ist schön für Dich, Bob, denke ich und sage artig hallo. Aber was hat das mit mir zu tun? Es wäre unvorstellbar, dass erstens die Techniker während der Arbeitszeit in unserer Bank herumlaufen und zweitens sich auch noch Leuten im Besprechungsraum vorstellen. Nun kenne ich meinen Personalchef nicht, versuche aber abzuwägen, ob der Haustechniker eventuell etwas mit Ihm zu tun haben könnte. Allerdings klingelt es nicht, wenn ich den Namen Bob höre. Wahrscheinlich hat er eine Ahnung, dass ich ihn noch einzuordnen versuche. So sagt er „Bob Carter“.
Oh, scheiße. Das ist mein Personalchef. Ich habe einen Robert erwartet und einen Bob getroffen. Eigentlich hätte ich das wissen sollen. Die Haustechnikerverkleidung hat mich total aus dem Konzept gebracht, so dass ich meine Begrüßungsfloskeln vergessen habe. Schade. Ich fühle mich total daneben. Aber Bob sieht das alles ganz locker und fragt mich nebenbei, ob ich schon gegessen hätte. Vorsicht Falle. Wenn ich jetzt wahrheitsgemäß entgegne, dass ich heute noch nichts hatte und mein Magen seit einer Stunde knurrt, bringe ich ihn in Schwierigkeiten. Dann kann es sein, dass er mich zum Essen bringen wird. So sage ich „Ja, danke.“
Er erwidert „Ist es ok, wenn ich etwas esse, während wir uns unterhalten?“ und bringt ohne meine Antwort abzuwarten eine riesige braune Papiertüte zum Vorschein. Aus der Tüte zaubert er ein Monstersandwich in der Größe eines Kleinwagens hervor, das in der Ausstattung seinesgleichen sucht. Aus meiner Perspektive kann ich viele Scheiben Kochschinken, Salami und Käse sehen, die sich wechselweise den Innenraum teilen. Auch scheint der Bäcker nicht an Mayonaisse gespart zu haben, die an allen Seiten vom Laib tropft. Da wir heutzutage gesund leben, hat der clevere Bäcker noch ein einzelnes Salatblatt so dazwischen geschoben, dass die Mayonnaise unter dem Blatt ungehindert hervortropfen kann. Auf der Riesensemmel gibt es ausreichend Vogelfutter, mit dem ich unser Vogelhaus einen Winter versorgen könnte. Glücklicherweise hat der vorausschauende Bäcker genügend Servietten mitgeliefert, so dass Bob regelmäßig Hemd, Hose und Gesicht von den Essensspuren befreien kann … bevor er neue Spuren anlegt.
Die Situation ist sicher sehr interessant für das Studium des Sozialverhaltens von Ablegern unterschiedlicher Kulturen in Extremsituationen. Auf der einen Seite des Tisches gibt es den Deutschen, der sich für das Treffen mit seinem Boss in Schale geworfen hat. Auf der anderen Seite sitzt der Amerikaner, der sich absolut gar nicht um die Form kümmert und seinen Job macht. Nachdem ich mich mit der Situation abgefunden und mir vorgenommen habe, das Ganze nicht persönlich zu nehmen, haben wir ein gutes Gespräch. Der Typ ist echt nett … im Rahmen seiner Möglichkeiten.
Derartige Erlebnisse sind zumindest eine gute Schule. Ich habe gelernt, dass von der Schale nicht unmittelbar auf den Inhalt geschlossen werden kann, dass Salatblätter auf einem Sandwich unbedingt zuunterst gelegt werden sollten und dass auch Haustechniker Personalabteilungen führen können.
Preisfrage: Warum ist die Sekretärin nicht leger gekleidet?