Dieser Tage gab unsere Kleine – Pearl ist 26 und hochmotivierte Kunstlehrerin in einer privaten Kunstschule – wieder mal Einblick in ihren Alltag. Sie meinte, sie hätte einen etwas “speziellen” Schüler in ihrer Klasse, der etwas langsam sei. Natürlich wollte ich wissen, was sie denn damit meinte.
“Oh, Danny muss ich alles mehrmals erklären. Er ist sehr verspielt und hört nicht zu, wenn ich etwas Neues einführe.”
“Wie alt ist denn der Junge?” wollte ich wissen.
“Er ist schon fünf. Meine Dreijährigen sind viel schneller im Auffassen. Er kann noch nicht mal gut lesen.”
Nun weiß ich, dass die Bildung heutzutage anders funktioniert als zu meiner Zeit. Trotzdem bin ich überrascht.
“Er ist doch mit fünf noch nicht in der Schule, oder?”
“Nein, aber das lernt jeder in Kindergrippe und Kindergarten. Mit drei können die meisten ihren Namen lesen und schreiben. In Englisch und Chinesisch!”
Ich weiss natürlich nicht mehr genau, was ich mit drei im Kopf hatte. Allerdings bin ich ziemlich sicher, dass ich meinen Namen nicht schreiben konnte, schon gar nicht in mehreren Sprachen. Meine Vorschule begann ein Jahr vor der Schule. Und ich habe keine Ahnung, was ich da gelernt hatte.
Was ist Kiasu?
“Was machen die Schüler dann in der ersten Klasse? Lernen die nicht dann das Alphabet sowie Lesen und Schreiben?” war ich neugierig – und auch etwas betroffen.
“Wenn Du dann erst Lesen und Schreiben lernen willst, wirst Du immer hinterherhängen. Deine Mitschüler werden wesentlich weiter sein, und die Schule wird das erwarten. In der ersten Klasse werden die Lehrer nicht genügend Zeit haben, Dir das beizubringen, was alle anderen schon drauf haben”, erläuterte sie für mich.
In Singapur nennt sich das “Kiasu” und bedeutet so etwas wie “die Angst, zu verlieren” und existiert eigentlich in allen asiatischen Kulturen. So erklärt sich manch seltsames Verhalten.
Eigentlich nehme ich an der U-Bahn sehr selten den Lift. Wenn aber doch, schaue ich links und rechts und vorne und hinten, ob da nicht noch jemand den Lift nehmen möchte, bevor ich den Knopf drücke, um die Tür zu schließen. Dann werde ich von vielen anderen im Lift sehr streng angeschaut mit einem Blick wie “Mach endlich die Tür zu. Wir müssen nicht auf andere warten. ICH BIN DRIN!”
Wahrscheinlich lässt sich das auf die asiatische Vergangenheit zurückführen, als die Menschen nicht im Überfluss leben durften, sondern um alles kämpfen mussten.
Das Ergebnis ist ein oftmals nicht sehr nettes Verhalten – obwohl es mittlerweile viele, viele Asiaten gibt, die Kiasu teilweise abgelegt haben.
Was sagt PISA?
Das Ergebnis ist auch, dass Asiaten schon lange nicht mehr “schlechtere Leistungen bringen” verglichen mit westlichen Kulturen. Schaun wir mal auf PISA.
PISA wird im Auftrag der Regierungen durch die OECD durchgeführt und konzentriert sich auf die Leistungen in Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen.
Mathematik | Naturwissenschaften | Lesen |
Singapur | Singapur | Hongkong |
Hongkong | Japan | Kanada |
Macau | Estland | Singapur |
Taiwan | Taiwan | Finnland |
Japan | Finnland | Irland |
China | Macau | Estland |
Südkorea | Kanada | Südkorea |
Schweiz | Vietnam | Japan |
Estland | Hongkong | Norwegen |
Kanada | China | Deutschland |
Niederlande | Südkorea | Macau |
Dänemark | Neuseeland | Neuseeland |
Finnland | Slowenien | Polen |
Slowenien | Australien | Slowenien |
Belgien | Deutschland | Australien |
Deutschland | Niederlande | Niederlande |
Irland | GB | Dänemark |
Polen | Schweiz | Schweden |
Norwegen | Irland | Belgien |
Österreich | Belgien | Frankreich |
Die PISA Studie von 2015 and viele andere dieser Studien bescheinigen den Singapurern und weiteren asiatischen Kulturen, dass sie mit ihrem Bildungssystem nicht ganz falsch liegen. Seitdem PISA veröffentlicht wird, gibt es starken Gegenwind von einigen Politiken aus Deutschland, die nicht gerne am Bildungssystem, sondern an der Art und Weise der Bewertung arbeiten wollen. Wirklich?
In meinem Job und and auch als Hobby-Vater sehe ich Schulen in Singapur und ziehe meine Vergleiche. Lehrer sind in Singapur durchaus geachtete Personen mit guter Bezahlung und ansprechenden Entwicklungsmöglichkeiten. Die Bildung hat hier einen sehr hohen Stellenwert und die Politik stellt sicher, dass das so bleibt.
Fallen wir zurück?
Als ich zur Schule ging, durfte ich einigen meiner Mitschüler Nachhilfe geben. In Singapur blüht der Tuition-Markt. Tuition heißt Unterricht. Allerdings ist das in keiner Weise Nachhilfe, sondern eher Vorhilfe. Eltern pumpen richtig viel Geld in die Tuition für Ihre Sprösslinge – wenn sie es sich leisten können. Tuition bereitet den Sprössling auf den neuen Stoff vor, so dass er oder sie den besser und schneller verarbeiten kann.
Als Ergebnis steht Singapur in internationalen Vergleichen fast immer exzellent da. Auch die Umsetzung passt. Die hießigen Arbeitskräfte sind anerkannt als die besten in ihrem jeweiligen Fach. Das führt zum Beispiel dazu, dass Singapur von vielen großen Unternehmen als asiatisches Hauptquartier ausgewählt wird. Das ist ja auch der Grund, weswegen ich in Singapur wohne.
Wenn wir in Deutschland weiter wettbewerbsfähig bleiben und insbesondere in Zukunft die Leute dafür haben wollen, müssen wir etwas am Bildungssystem ändern.
Ansonsten sehen wir in Zukunft in der Wirtschaft, was PISA im Moment für unsere Schüler ausdrückt: Mittelmaß.