Gisela, die Killerschildkröte

Vor ein paar Wochen bekamen wir Besuch von einer Schildkröte, die wohl aus dem mit Brackwasser gefüllten Ausläufer des Pazifiks hinter unserem Haus an Land gegangen war und unser Anwesen als neues Domizil ausgewählt hatte. Wir fanden Gisela – so hatten wir sie liebevoll getauft – an einem schneefreien sonnigen Morgen in unserem Koi-Teich.

Dabei hatten wir angenommen, einen „guten Fang“ gemacht zu haben. Andere zahlen eine Stange Geld für Schildi aus der Zoohandlung, wir bekommen sie frei Haus. Wahrscheinlich war sie aus irgendeinem fernen Land wie beispielsweise Taiwan über das Südchinesische Meer zu uns geschwommen. Wahrscheinlich wollte Gisela einfach dem Kochtopf entgehen.

Gisela schwimmt Tag und Nacht mit unseren Kois im Teich, geht manchmal kurz an Land, um dann sofort wieder abzutauchen. Sie hat rote Ohren, lächelt den ganzen Tag und schaut interessiert in der Gegend herum. Mit dem kurzen Hals und dem runden Kopf sieht sie aus wie Norbert Blüm. Gisela hat wohl beim Verteilen der Panzer verschlafen, denn sie hat nur einen recht ramponierten abbekommen. Wir haben keine Ahnung, wie das Alter einer Schildkröte abgeschätzt wird. Ich denke, diese Tiere werden alt geboren. Jedenfalls habe ich noch nie eine neue Schildkröte gesehen.

Leider hatten wir uns wohl mit dem „guten Fang“ getäuscht. Vor zwei Wochen berichtete Vangie, dass unsere Fische Löcher im Schwanz hätten. Es kann nicht sein, dachten wir, dass Gisela daran beteiligt sei. Unmöglich. Wir nahmen an, dass entweder Schlange oder Waran da eine Hand im Spiel hätten. Nach einigem Nachdenken haben wir die Schangentheorie verworfen, da die ja keine Hände haben.

Danach fassten wir einen Entschluss: wir setzen Gisela frei. Eigentlich kein Problem. Allerdings darf man sich dabei nicht erwischen lassen. Es ist nicht erlaubt, Haustiere in die Wildnis zu entlassen. Sie ist doch kein Haustier, sagst Du? Sag das mal den Naturschützern und der Polizei. Vangie hat dann bei Nacht (ohne Nebel, weil es den bei uns nicht gibt) Gisela in den Pazifikarm abgesetzt. Ufff, geschafft.

Am nächsten Morgen, als ich gerade, wie jeden Morgen, gegen sieben auf der Terrasse sitze und vergeblich nach einer eMail von Luna Ausschau halte, latscht Gisela freundlich lächelnd an mir vorbei – geradewegs vom Gartentor zum Teich. Ich lächle zurück, und freudig weise ich Vangie auf den Wiederankömmling hin. Die Freude dauert nicht an. Am nächsten Morgen fehlen den Fischen sogar noch mehr Flossen, am übernächsten Tag ist ein Fisch tot.

Sofort wird Gisela von Vangie in einen Eimer gepackt und bei Nacht an einer wesentlich weiter entfernten Stelle ins Wasser gesetzt. Am Morgen das gleiche Spiel. Gisela kommt freundlich lächelnd an mir vorbei gelatscht. Danach hat es sich Vangie zum Hobby gemacht, Gisela an anderen Stellen auszusetzen. Gerade eben kam sie wieder zurück – freundlich lächelnd.

Was lernen wir daraus? Pass auf, wenn Dich jemand zu freundlich anlächelt. Er kann etwas im Schilde führen, Dich hinterrücks austricksen und dabei immer noch freundlich lächeln. Aufgrund dieser Erkenntnis und der hartnackigen Art von Gisela haben wir die Schlussfolgerung abgeleitet, dass sie wohl nicht aus Taiwan, sondern aus Amerika kommen muss.

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