Wie schon so oft hat uns ein Kunde nach China eingeladen. In diesem Fall wurden wir durch eine Restaurant-Kette aus Singapur nach Fujian im Süden Chinas geflogen, um denen bei der Weiterbildung der Restaurantmanager zu helfen. Mit unserer Stärke im Kochen und Backen sind wir förmlich dazu prädestiniert. Die Restaurantkette hat einen Michelin-Stern, ist also in der Reifenbranche sehr beliebt.
Bei Onkel Fong
Onkel Fong – so wird der Eigentümer und Boss von 80 Restaurants in Singapur, Malaysia und China gerufen – hat in China ein recht großes Anwesen, auf dem wir gemeinsam mit unseren etwa 50 „Schülern“ einquartiert wurden. Der Onkel hat sich auch persönlich um uns gekümmert, nachdem wir in Singapur bisher immer mit seinem sehr umgänglichen und bodenständigen Sohn zu tun hatten. Der ist 28 und leitet die Restaurantkette. Ein feiner Kerl.
Wie zu erwarten war, ist seine Ausbildungsstätte vollständig eingerichtet. Obwohl der Ort Putien weit weg von den chinesischen Großstätten liegt, gibt es schnelles Internet über Telefon und über Wifi im letzten Winkel. Heißes Wasser, Strom und alle anderen Dinge des täglichen Lebens sind vorhanden und top in Schuss. Das Wasser kommt aus einem Berg hinter der Anlage und ist sauber.
In früheren Zeiten, so etwa vor 20 Jahren, hatte ich schon mal braunes Wasser zum Duschen. Auf den Philippinen gab es mal einen Job, in dem täglich eine einstündige Dunkelphase über die Inseln geschaltet wurde, da nicht genug Saft für alle vorhanden war. Sowas haben wir schon lange nicht mehr gehabt.
Amy hat mich mal wieder überrascht. Sie hat ihren Job komplett in Chinesisch abgehalten. Ist keine große Sache sagst Du, da sie ja Chinesin ist? Falsche Annahme. In Singapore sprechen viele Chinesen kein oder sehr schlechtes Chinesisch, das in China nur mit Achselzucken beantwortet wird. Dazu haben sie keine Ahnung, wie man unsere offizielle Landessprache, das Malaiische, benutzt. Und das Englische ist auch nicht druckreif.
Unsere Kunden waren mit Amys Chinesisch sehr zufrieden. Gut!
Auf dem Weg zu Amys Vorfahren
Wir hatten uns sehr auf den Job bei Putien in China gefreut, weil Putien in der Provinz Fuzhou liegt, aus der fast alle Singapur-Chinesen abstammen. Amys Großeltern haben um 1938 den Fernseher ausgeschaltet, Hab und Gut sowie Kind und Kegel aufs Pferd gepackt und sich auf die Strümpfe nach Singapur gemacht. Damals war Singapur eine Insel mit wenigen Menschen und viel Sumpf. Damals gab es noch Tiger in Singapur!
Unser Weg von Putien nach HuiAn, dem Geburtstort von Amys Eltern sollte mit dem Zug zurückgelegt werden. „Es dauert eine Weile. Der Zug ist nicht so schnell“ wurde uns von der Organisatorin – ihr Name ist Lin – mitgeteilt. Kein Problem, dachte ich für mich. Ich habe keine Eile. Bummelzug ist ok.
Der pünktliche Zug, der nicht aussah wie ein Bummelzug, hat auf 205 km/h beschleunigt, ein paarmal gestoppt und schon waren wir da. Sehr angenehm, sehr sauber und absolut pünktlich auch bei der Ankunft. Sie meinte zur Erklärung wie entschuldigend „Ab August haben wir dann die normale Reisegeschwindigkeit von 300 km/h auch auf dieser Strecke.“
In China ist die „normale“ Reisegeschwindigkeit bei 300 km/h zwischen Putien und HuiAn. Das sind Dörfer. Wenn wir die 300 zwischen Flughafen Frankfurt und Köln für ein paar Minuten erreichen, bekommen wir einen Adrenalinschub.
Vergleichbar wäre etwa, die Strecke Erfurt – Saalfeld mit 300 zu befahren. Dann würde die Fahrzeit auf den 44 Kilometern von viel mehr als einer Stunde auf weniger als zehn Minuten zusammenschmelzen. Und ich müsste nicht unsere 13 Koffer in Arnstadt nach unten und wieder nach oben tragen. Sowas gibt es sonst nirgendwo!
Nicht in diesem Leben! Dagegen stehen Umwelt- und Artenschutz.
Wir beschützen alles. Wer beschützt eigentlich uns, die Menschen vor Ignoranz und Dummheit?
Bei Amys Vorfahren
Amys Bruder Erik ist Singapurer, hat jedoch ziemlich viel Einfluss auch in China. So hatte Erik organisiert, dass wir eine Woche lang herumkutschiert wurden. In jedem Ort gab es einen Bürgermeister oder Parteisekretär, der uns gerne treffen wollte. Natürlich dachte ich, dass die wild darauf gewesen wären, endlich mal einen Thüringer kennenzulernen. Bald jedoch stellte sich heraus, dass sie uns als potentielle Investoren betrachteten, so wie Erik das angekündigt hatte.
Erik hatte das gesamte Gelände vor vielen Jahren auf Vordermann gebracht. Die alten Hütten hatte er durch moderne Gebäude ersetzt. In dem Haus wohnen auch einige Nachfahren. So durfte Amy das erste Mal in ihrem Leben eine Tante, eine Schwester ihres Vaters kennenlernen.
Außerdem kam noch eine jüngere Dame dazu, die ohne Probleme Amys Schwester hätte sein können.
So wurde ich Zeuge eines kurzen aber sehr wichtigen Zusammentreffens Amys mit der Vergangenheit ihrer Familie. Normalerweise bekomme ich ein paar Brocken mit, wenn chinesisch gesprochen wird. Hier war das unmöglich, da alle in ihren Dialekt Hokkien verfielen, der mit dem Mandarin nur geringe Ähnlichkeit hat.
Der Tradition verbunden
Die Organisatorin Lin hat es sich nicht nehmen lassen, Amy in andere Traditionen einzuführen. So durfte Amy in mehreren Orten deren traditionelle „Uniform“ tragen.
Offensichtlich gilt das nur für Frauen und Mädchen. Mir wurde nichts angeboten. Warum nur.
So wurde aus einem Job für Onkel Fong und seine Putien-Restaurantmanager eine sehr informative und bewegende Reise in Amys Vergangenheit.
Sicher wird so etwas wichtiger, wenn man im Alter fortschreitet.