Klassentreffen

Es beginnt eigentlich schon damit, dass Du am Flughafen an eine andere Tür des Abfluggebäudes gefahren wirst. Du steigst nicht an der Stelle aus dem Taxi, an der sich die Wagen der anderen Reisenden stauen. Nein, Du gehst zu der Tür, die wesentlich weniger oft benutzt wird. Dort gibt es oft einen Teppich und viel Personal, das Dir jeden Wunsch erfüllt. Fast jeden. Von da wendest Du Dich zum Einchecken zielsicher an den Schalter, wo entweder keine Reisenden warten oder sich nur eine kleine Schlange gebildet hat.

Die Warteschlange der Touristen ist erschreckend lang. Da stehen die armen Menschen in einer Art Kuhschleuse, die sich dreimal wendet, bevor sie an die Schalter heranreicht. Wenn Du die Wartenden mit einem flüchtigen Blick streifst, kannst Du die Frustration erkennen. Offensichtlich stehen die schon einige Zeit.

Dabei solltest Du allerdings nicht zu auffällig hinüberschauen. Besonders dann, wenn Du schon als Business Class Reisender erkannt worden bist, ist ein Blick zu den Anderen eher unangebracht. Falls Du es doch tust, solltest Du unbedingt ein abfälliges Lächeln vermeiden. Falls Du doch Lächeln solltest, ist auf gar keinen Fall Genugtuung erkennen zu lassen – obwohl Du das Gefühl eigentlich magst. Das Gefühl von “Schau mal, ich hab‘s geschafft!”

Während des Wartens auf den Flieger kannst Du Dich ohne Probleme in der Business Lounge breitmachen. Das ist einerseits ganz angenehm, weil Du dort bis zum Abwinken Erdnüsse und Bier und viele andere Leckereien Genießen kannst. Andererseits stellt sich dort das Gefühl der Genugtuung nicht ein. Dort sind in der Regel alle gleich. Dort sind alle Geschäftsreisende – bis auf die Servierdame.

Deine Klasse kommt erst wieder zur Geltung, wenn Du Dich von der Lounge in den Wartebereich am Flieger begibst. Dort warten in der Regel schon die “Anderen”, die alle Sitzplätze eingenommen haben und Dich mit etwas Schadenfreude im Blick begrüßen, da Du überhaupt keine Chance hast, Dich irgendwo nieder zu lassen. Damit musst Du zunächst zurechtkommen. Die wissen ja nicht, dass Du bis eben noch einen guten Riesling zu Käse und eingelegten Gurken für lau konsumiert hast. Eine wenn auch geringe Möglichkeit besteht, etwas von dem Ich-bin-anders- Gefühl zu vermitteln: Du kannst versuchen, Deine Bordkarte aus Deinem Pass heraushängen zu lassen, so dass die Farbe der Business Class sichtbar wird.

Da ist noch eine Möglichkeit: falls Deine Fluggesellschaft getrennte Einsteigebereiche für die Klassen hat, kannst Du Dich direkt an dem Schild für Business Class aufstellen. Dieser Hinweis wird von den Touristen in der Regel nicht übersehen. Das klappt aber nur dann, wenn tatsächlich ein solches Schild existiert.

Beim Einsteigen ist es dann immer sehr klar, wer zu welcher Klasse gehört. Falls Du schon direkt unter dem Business Class Schild stehst, gehst Du einfach in den Flieger. Du solltest dabei nicht eilig und überhastet wirken. In Deiner Klasse hast Du es nicht nötig, mit anderen in den Wettbewerb zu treten. Du hast doch schon gewonnen.

Viel besser ist es jedoch, wenn Du irgendwo ganz am Ende der Wartehalle stehst, wo Dich alle anderen Reisenden schon als Verlierer gebrandmarkt haben, da Du nie im Leben die Chance hast, vor denen den Flieger zu betreten. Wenn dann der Aufruf zum Einsteigen kommt, rollst Du ganz lässig und ohne Eile das Feld von hinten auf und flanierst vorbei an den Spalier bildenden Wartenden der anderen Klasse, wobei Du den beachtenswerten Mädchen gerne ein Lächeln zuwerfen kannst. Auch jetzt ist es durchaus angebracht, die Farbe der Bordkarte zur Geltung zu bringen, da es Vielflieger gibt, die zwar mit Dir einsteigen können, sich allerdings mit einem Sitz im hinteren Teil zufrieden geben müssen. Von denen solltest Du Dich auch schon beim Passieren der Wartenden unterscheiden.

Sobald Du im Flieger bist, gibt es keine verwaschenen Klassengrenzen mehr. Während die Anderen nach Dir einsteigen dürfen, hast Du schon in einem breiten, bequemen Sitz Platz genommen, der Dir mehr Beinfreiheit bietet als die meisten zu Hause vorm Fernseher haben. Nun ist etwas Eile geboten. Es sieht total cool aus, wenn Du die Anderen in Deinen Sitz gefläzt, mehr oder weniger intelligent lächelnd und mit einem Getränk in der Hand begrüßen kannst. Dazu lässt Du die Stewardess gleich beim Einsteigen wissen, dass Du seit zwei Tagen nichts getrunken hast.

Diese Zeile bringt Dir allerdings nur Wasser, was etwas uncool wirken könnte. Daher empfiehlt es sich, die Stewardess mit einem netten Lächeln und einer in ein Kompliment eingewickelten Forderung zu begrüßen wie etwa “Toller Flieger. Hier wird sicher nur Edles getrunken. Darf ich zur Begrüßung einen Rotwein haben?”

In den meisten Fällen wird sich die Stewardess sofort daran machen, Dir einen Rotwein zu besorgen, was Dir einen ersten Blick auf die Beine der davongleitenden Dame gestattet. Wenn sie dann zurückkehrt, könnte mit etwas Glück eine für Dich reizvolle Situation entstehen: die durch die Tür hereinströmenden Touristen müssen, hinter der Stewardess wartend zusehen, wie diese Dir Dein Getränk kredenzt. Auch wenn die Verlockung zu einem Schwatz mit ihr groß ist, um die Situation noch etwas zu genießen, solltest Du die Sache nicht unnötig in die Länge ziehen.

Gute Stewardessen sind so geschult, dass sie den Rotwein immer mit Wasser reichen. In diesem Fall kannst Du die Touristenklassereisenden mit einem Glas Rotwein in der Hand und einem Glas Wasser auf der Armlehne sowie einem dezenten Lächeln auf den Lippen begrüßen. Mehr gutes Gefühl geht eigentlich nicht.

Schon in der Wartehalle solltest Du die Mitreisenden in der Touristenklasse eingehend mustern, um eventuelle Bekannte zu entdecken. Dabei ist der Bekanntheitsgrad absolut unwichtig. Jeder Bekannte kann genommen werden. Dein Sitznachbar aus der Grundschule geht genauso wie eine alte Freundin Deiner Mutter oder der Fahrer des Linienbusses in Deiner Heimatstadt. Diese Bekannten kannst Du in der Wartehalle kurz begrüßen, um dann auf den langen Flug für ein Gespräch zu verweisen. Während diese Bekanntschaft beim Warten total bedeutungslos erscheint, wird sie an Bord zu einem wahren Glücksfall.

Dann kannst Du mitten im Flug durch den sonst immer geschlossenen Vorhang gleiten, der Deine Business Class von der Economy trennt. Der osmotische Vorhang erlaubt nur den Durchgang in einer Richtung und bietet somit eine nahezu ideale Gelegenheit, Dir einen weiteren Moment des Glücks zu bereiten.

Beim Gespräch mit Deinem Bekannten solltest Du die Lautstärke gut dosieren, so dass die nächsten acht Sitzreihen einbezogen werden können. Als Gesprächsthema bietet sich beispielsweise das eben eingenommene Abendessen an. Deinen Bekannten und die nächsten acht Sitzreihen kannst Du unauffällig auf deren Platz in der Gesellschaft aufmerksam machen, indem Du nachfragst, ob der Lachs zur Vorspeise auch seiner Meinung nach etwas übersalzen war oder ob der 2008er Rotwein aus Italien tatsächlich lieblicher ausläuft und einen besser abgerundeten Geschmack hat, als der argentinische von 2009.

So kannst Du den eigentlich langweiligen Flug für Dich und für andere interessant und abwechslungsreich gestalten.

Auch nach dem Flug bietet sich Gelegenheit, das schon bekannte Wohlgefühl zu genießen. Dazu schlenderst Du zum Gepäckband. Kleiner Tipp: Es ist total unnütz, sich an der Stelle aufzubauen, an der das Gepäck aus der Wand gespuckt wird. Stell Dich weit entfernt davon auf, so dass Dein mit einem roten „Priority“ Anhänger versehener Koffer an den Wartenden vorbei gleiten muss, worauf Du ihn unter viel Beachtung sportlich leicht vom Band nimmst und Deine Computertasche obenauf befestigst. Vorbei an den immer noch herbeiströmenden Mitpassagieren geht es zum Ausgang, wo im günstigsten Fall eine hübsche junge Dame in kurzem Rock, endlos langen Beinen und Killerschuhen mit einem Ich-will-Lächeln auf Dich wartet.

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