Auf dem Weg nach Nanjing

Auf dem Weg nach Nanjing

Der Flug von Singapore nach China mit Singapore Airlines ist immer angenehm, der Aufenthalt in China dagegen manchmal etwas merkwürdig.

Gerade eben nach der Landung auf dem internationalen Flughafen von ChongQing mit etwa der Größe eines mittleren Busbahnhofs will ich zum viel größeren Inlandflughafen gehen. Die merkwürdige Lage der beiden Terminals auf eigentlich demselben Flughafen hat sich schon bei der Landung angedeutet. Dabei habe ich zwei unterschiedlich große Gebäude sehen können, vor denen Flugzeuge parken. Diese Gebäude sind aus irgendeinem Grunde voneinander getrennt aufgebaut. Noch hatte ich die Hoffnung gehabt, dass es einen Tunnel zur Verbindung gäbe. Jetzt weiß ich, dass da kein Tunnel ist.

Hübsch machen vor dem Treffen mit dem Begründer von China, Dr Sun Yat Sen

Es regnet und ich muss da hinüber. Kein Taxi in Sicht und auch kein Shuttlebus oder so. Ich frage jemanden vom Flughafen. Dann noch einen. Vom Dritten bekomme ich die Antwort, dass ich da hinüber laufen kann. Klar kann ich das, wenn es nicht nieselt, ich keine Koffer mit mir rumschleppe und ich keinen Anzug trage. Nach einigem Warten ohne Aussicht auf ein Taxi oder den Bus mache ich mich auf den Weg. Mich würde schon interessieren, ob ich der einzige Doofe bin, der aus dem Ausland ankommt und dann in China weiterfliegen will. Sehr seltsam.

Check-In und Sicherheitskontrolle sind sehr schnell erledigt. Ich mache mich auf zum Gate, wo ich noch etwa eine halbe Stunde bis zum Einsteigen habe, wobei ich wie immer Leute beobachte. Da ist die Dame mit irgendwelchen Verzierungen an den Schuhen, die dadurch zu groß für die Füße erscheinen und die Kombination Schuh-Bein zum Weihnachtsbaumständer machen. Da ist der junge, gut im Futter stehende Reisende, der eine hawaiihemdbunte kurze Hose trägt, die beim Bücken eine Spalte freilegt, in der man einen Kleinwagen parken kann. Er passt irgendwie nicht in das Gesamtbild. Von hinten sieht er aus wie ein Amerikaner; er ist aber Chinese. Auch die China-Chinesen nähern sich der westlichen Welt mit rasender Geschwindigkeit immer mehr an. Dann ist da noch der hungrige junge Mann, der geräuschvoll eine Suppe aus einer Büchse schlürft und mit einem aus dem Chemieunterricht bekannten Holzspatel auch noch den letzten Rest vom Büchsenboden kratzt. Und da ist der Deutsche, der Leute beobachtet und seine unwichtigen Erkenntnisse für die uninteressierte Nachwelt auf seinem Nokia festhält.

Dr Sun Yat Sen, der Begründer des heutigen China

Es ist sehr einfach, die Leute zu betrachten, da eigentlich alle mit einem Telefon, iPad oder Videospieler beschäftigt sind und die Umwelt vergessen zu haben scheinen. Nein, da sind ein paar Außenseiter, die richtig altmodisch miteinander sprechen. Offensichtlich haben die armen Hunde kein Telefon.

Nun ist Einsteigezeit. Allerdings rührt sich nichts. Schon ein paar Ansagen habe ich ignoriert, da die Ansager offensichtlich durch so etwas wie eine feuchte Windel ins Mikrofon reden. Es ist unklar, ob die Ansage in Chinesisch oder Englisch erfolgt. Von Zeit zu Zeit schaue ich aus dem Fenster zu der Stelle, wo ich das Flugzeug parken würde, wenn ich Pilot wäre. Da sehe ich nur die Markierung. Da ist kein Flieger. Allerdings stellen sich die ersten Chinesen am Ausgang an, um zum Flieger zu gehen. Versteh ich nicht.

Nun ist es 13:10h und es sollte bald ans Einsteigen gehen. Vor dem Ausgang hat sich eine Schlange gebildet, draußen ist allerdings noch immer kein Flieger. Wie soll das gehen?

Punkt 13:15h, der Einsteigezeit, ertönt wieder die Dame mit der nassen Windel vor dem Mund, sagt etwas auf Chinesisch und die Schlange löst sich fast schlagartig auf. Dann lese ich auf der Tafel “Verspätet”.

Allerdings ist nicht angegeben, wie lange die Verspätung andauern soll. Gott-sei-Dank bin ich nicht in Eile. Mein Kunde rennt mir heute nicht weg, mein Wagen hat keinen Kratzer, mein Hund muss nicht Strassi gehen und meine Frau liegt nicht in den Wehen. Interessant ist es schon, dass die Jungs im Flughafen erst feststellen, dass da kein Flieger steht, wenn die Reisenden schon reingehen sollten. “Uuups, kein Flugzeug. Na, wie kommt denn das?”

Ich muss allerdings zugeben, dass der Nebel nicht unerheblich ist. Wahrscheinlich würde ich draußen stehend meine Füße kaum sehen können. Und das liegt nicht am Bauch. Bauch? Was ist das?

Nach einer Stunde Wartezeit springt plötzlich die Anzeige vor unserer Nase um und zeigt Shenzhen. Obwohl ich Shenzhen auch ganz gerne mag, wollte ich doch lieber nach Nanjing fliegen. Für diese dumme Entscheidung gibt es den einen oder anderen Grund. Offensichtlich denken andere ähnlich. Dann springt die Anzeige wieder um und zeigt an, dass der Flieger nach Nanjing an einem anderen Ausgang steht. Macht nichts. Da kann man hin laufen. Zum anderen Ausgang.

An dem anderen Gate stehen die Leute nach Shenzhen schon in der Schlange, um zu ihrem Flieger zu gehen. Als die die neue Anzeige Nanjing lesen, werden sie echt sauer. Wahrscheinlich hat ein cleverer Kollege bei der Airline beschlossen, den Flieger zu tauschen. Das macht diesmal Sinn, da Shenzhen nicht so weit entfernt ist wie Nanjing und unser Flieger danach noch nach Dalian weiterfliegen soll. Das liegt irgendwo im Norden Richtung Russland. Somit kommen wir doch noch in die Luft.

Im Flug merke ich immer öfter, dass ich Fliegen nicht genieße. Zum einen ist das von China nach China, weswegen im Flieger naturgemäß sehr viele Chinesen sitzen. Von Singapore nach China ist das auch so. Allerdings sind das Singapore-Chinesen, die alle einigermaßen Benehmen haben. Von China nach China ist das anders. Das genussvolle Gähnen eines Reisenden in der Stimmlage und Lautstärke einer Hyäne ist da noch harmlos. Es gibt immer ein paar Reisende, die mitten im Flug auf ihre verstopften oder verkrusteten Atemwege aufmerksam werden, worauf sie diese mangels Wasser oder Schnupftuch durch schnarchende und röchelnde Atemübungen aufbrechen. Bei manchen wird der Anschein erweckt, dass sie nebenbei ihr gesamtes Atem- und Verdauungssystem mit reinigen.

Auch viele Jahre Fortschritt in China haben es noch nicht vermocht, den Körpergeruch besonders männlicher Mitreisender zu bändigen. Dabei wird mir wieder einmal klar, wie es Hunden möglich ist, Fährten zu folgen. Diesen Fährten kann selbst ich folgen. Auch noch mit verschnupfter Nase.

Andere Mitreisende haben dagegen schon von Körperpflege gehört und zeigen ihr neu erworbenes Wissen mit Stolz. Da sitzt eine Oma in Sandalen und bearbeitet ihre freigelegten Zehen mit einem Klipper. Eine andere Dame feilt an ihren Nägeln. Den Fußnägeln. Zu Hause kommen sie wohl nie so richtig dazu. Also machen sie es beim Warten auf den Flieger oder unterwegs. Das verstehe ich.

Ein anderer Grund für meine Abneigung für das Fliegen ist das Achterbahngefühl. Noch nie habe ich mir erklären können, wie meine Tochter zwölf Mal die Achterbahn im Phantasialand überstehen kann. Mir wird schon bei der ersten Abfahrt mulmig. In der Luft habe ich ein ähnliches Gefühl. Allerdings wird das durch permanente Ungewissheit erheblich verstärkt. Im Phantasialand sehe ich die nächste Abfahrt. Im Flieger kommt sie total überraschend und manchmal mit mächtig Gefälle.

Auf einem Flug zwischen Hong Kong und den Philippinen konnte ich vor einiger Zeit feststellen, dass andere Reisende wesentlich größere Probleme haben. Beim Einsteigen setzt sich eine junge Dame neben mich; ihr Freund setzt sich auf die andere Seite der Dame. Das ist schon einmal ungewöhnlich. Nach einiger Zeit, noch vor dem Start, fragt er mich, ob ich was dagegen hätte, wenn seine Freundin mich anfasst. Schon beim Einsteigen hatte ich die junge Philippina gemustert und sie auf meiner Bewertungsskala recht weit oben angesiedelt. Natürlich habe ich nichts dagegen. Es ist nur etwas erstaunlich, wenn ER die Annäherung vornimmt. Dabei sind die beiden sehr höflich. Dann sagt sie noch, dass sie Angst vorm Fliegen hätte und besonders Start und Landung nicht mag.

Dunst über Nanjing

Während der Startvorbereitungen fasst sie auf einer Seite meinen und auf der anderen Seite den Arm ihres Freundes. Während des Rollens greift sie fester zu. Beim Abheben krallt sie sich so stark in meinen Arm, dass ich für mehrere Tage blaue Flecken haben werde und ich mir ehrlich Gedanken mache, wie ich das meiner Freundin erklären soll.

Nachdem der Flieger durch die Wolken aufgestiegen ist und damit die Schlaglöcher wesentlich weniger tief sind, löst sich die eiserne Klammer von meinem Arm und die junge Dame lächelt mich mit verschwitztem Gesicht und Tränen in den Augen an. Das Ganze wiederholt sich bei der Landung. Zwischendurch fasst sie meinen Arm bei jedem größeren Schlagloch. So gesehen ist es schon recht nachteilig, auf einer der 7000 Inseln der Philippinen zu wohnen.

Dieses Erlebnis hilft mir immer, wenn der Flieger wieder einmal unverhofft abtaucht oder ansteigt. So schlecht geht es mir nicht.

Und es geht noch drastischer: Auf einer Überfahrt zu unserer Lieblingskurzurlaubsinsel Bintan war die See etwa so ruhig wie Uli Hoeneß nach einem gegen Dortmund verlorenen Spiel. Die Wellen sahen schon bedenklich aus. Normalerweise ist das kein Problem. Ein Boot kann ja langsam fahren oder anhalten, was bei einem Flieger eher unpraktisch ist. Allerdings macht das für einen Bootkapitän in Singapore keinen Unterschied, da der seinen Zeitplan unter allen Umständen einhalten wird. Das führt dazu, das er mit nahezu voller Fahrt manchmal auch gerne schräg auf die Wellen knallt. Uns wird echt übel. Noch schlimmer erwischt es eine Gruppe Koreaner, die sich sehr schnell zur Toilette bewegen und dort wohl hängen bleiben. Als alle Toiletten besetzt sind, legen sich einige Koreaner flach auf den Boden. Irgendwie scheint diese Maßnahme zu helfen. Den Rest der Fahrt verbringen viele Koreaner auf dem Boden. Wir haben es auf dem Sitz überstanden. Auf Bintan angekommen studiere ich den Wetterbericht für die nächsten Tage. Es ist Taifunzeit. Obwohl es in Singapore keine Taifune gibt, spürt man oft die Ausläufer davon, nachdem sie auf den Philippinen für einige Tote und für kräftig Unordnung gesorgt haben.

Studienabschluss der Studenten des Jahrgangs 2024

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Zu Besuch bei den Hakka

Als die Hakka in der gebirgigen südwestlichen Provinz Fujian in China siedelten, entwickelten sie einzigartige architektonische Gebäude, die Tulou (土樓) genannt werden, was wörtlich übersetzt Lehmbauten bedeutet.

Deutschland, wohin geht die Reise?

Nach 20 Jahren in Singapur ist es sehr leicht, eine immer wiederkehrende Frage zu beantworten.
“Gehst Du irgendwann zurück nach Deutschland?” werde ich oft gefragt.

Ohne lange zu überlegen antworte ich etwa “Mir gefällt es hier ziemlich gut. Typisch deutsche Unzulänglichkeiten gibt es hier kaum.”

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1 Comment

  1. Birgit Ottolinger

    Hallo Uwe,

    ganz ehrlich, hab lang nicht mehr so gelacht. Detlef hat komisch geschaut – er wußte ja nicht warum.
    Ist das Schreiben ein verstecktes Talent von Dir? Sollten mehr Leute lesen, mach ein Reisetagebuch daraus.
    Wir werden Deine Aufzeichnungen auf alle Fälle weiter verfolgen.

    Liebe Grüße Detlef und Birgit

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