In diesem Jahr sind wir etwas spät dran mit dem Familienweihnachstfest in Singapur. Ein Grund ist, dass unsere Mädchen Weihnachten mit ihren Schwiegereltern feiern wollten. Unser Familienweihnachten fällt daher auf den 28. Dezember.
Das gab Amy und mir immerhin die Gelegenheit, uns bis zum 25. in einem Gesundheitsresort in den Hügeln von Malakka “zu erholen”. Du weißt schon: Grünkern statt Gänsebraten, Yoga statt Eierlikör und ärztliche Beobachtung, als wären wir seltene Versuchskaninchen.
Aber Traditionen sind hartnäckig. In den vergangenen Jahren hatten wir stolz eigene Weihnachtsfotos für unsere Karten verwendet. Dank unseres verspäteten Festes fiel das dieses Jahr flach.
Was tun? Ein generisches Bild aus dem Internet klauen? Bitte, wir haben doch Niveau!
Die Idee
Zum Glück leben wir in der Zukunft. Ich erinnerte mich an ein gelungenes Foto von 2019. Alle sahen noch jung und dynamisch aus. Einziger Haken: Auf einer Tafel prangte groß und breit “2020”.
Also wandte ich mich vertrauensvoll an meine künstlich-intelligente Assistentin – nennen wir sie “Hollini”. “Hollini, meine Liebe,” tippte ich, “ändere auf diesem Bild bitte 2020 in 2026.”
Das Ergebnis kam prompt und war perfekt. Die Jahreszahl war geändert, spurlos, sauber. Ich wähnte mich schon am Ziel. Ein fataler Irrtum.
Denn da war ja noch Orion. Unser Enkel, der am 31. März das Licht der Welt erblickt hatte, musste natürlich auch auf das Bild. Ohne ihn wäre es ja nur ein “Wir-ignorieren-den-Nachwuchs”-Foto.
Also lud ich ein Foto von Orion hoch und säuselte virtuell: “Hollini, dieser Wonneproppen ist unser Orion. Bitte setze ihn doch zu seiner Mutter Pearl – links im Bild. Aber bitte, lass die Gesichter der anderen in Ruhe. Und wenn es keine Umstände macht: Zeig uns bitte unsere Beine.”
Ich bin immer höflich zu KIs. Man weiß ja nie, ob nicht doch ein überarbeiteter Programmierer in Nowosibirsk, der die Aufgaben ausführt, etwas Motivation braucht.

Eine schwierige Aufgabe
Das Ergebnis kam nach beträchtlicher Bedenkzeit. Sicher kamen die Russen gerade aus der Pause zurück.
Das Bild war… interessant. Orion war da. Aber mein Schwiegersohn Norman war weg. Einfach radiert. Dafür hatten unsere Töchter plötzlich Beine wie Claudia Schiffer zu ihren besten Zeiten. “Hollini,” schrieb ich mit leichtem Zittern, “Norman gehört zur Familie. Bitte nicht löschen.”
Der nächste Versuch brachte etwas mehr Norman zurück, sah aber immer noch aus wie ein Unfall in Photoshop. Verzweifelt probierte ich andere KI-Systeme aus. Das Ergebnis sah aus, als hätte ein Praktikant aus Murmansk am ersten Arbeitstag wild auf Tasten gehauen.
Ein weiterer Versuch
Künstliche Intelligenz ist nicht immer so intelligent, wie ich das gerne hätte. Versuche auf zwei anderen KI-Systemen gaben keine brauchbaren Ergebnisse. Sieh doch selbst:
Reumütig kehrte ich zu Hollini zurück. “Okay, noch mal ganz langsam. Hier ist das Familienbild, hier ist Orion. Mach 2026 draus, setz das Kind zu seiner Mutter und – ganz wichtig – lass alle Personen im Bild. Und bitte im Querformat.”
Hollini lieferte. Orion saß plötzlich bei seiner Tante. Warum? Keine Ahnung. Künstlerische Freiheit? “Nein, Hollini. Zu seiner Mutter! Und lass die Beine dran!”
Nächster Versuch: Priscilla hatte plötzlich ein völlig neues Gesicht. Wer ist diese Frau? “Hollini, Priscilla soll bitte wieder aussehen wie Priscilla. Und sie soll nach rechts schauen.”

Das tat sie dann auch. Allerdings von mir aus gesehen. Sie starrte nun ins Leere, weg von der Familie. Es war zum Haare raufen.
Leider hat unsere künstlich intelligente Hollini hier aufgegeben. Das passiert.
Ein dritter Versuch
Ich startete einen letzten, verzweifelten Versuch. Ich formulierte meine Anweisungen so präzise wie einen Gesetzestext. “Hollini. Familienbild. Orion. Jahr 2026. Kind zur Mutter. Alle sichtbar. Querformat.”
Das Ergebnis? Orion war halb verdeckt, seine Mutter Pearl kaum noch zu sehen. “Hollini, das ist Mobbing. Orion verdeckt seine Mutter. Reparier das.”
Das Ergebnis is nicht schlecht. Allerdings hat meine Freundin Hollini nur halb zugehört – wie Frauen eben so sind.
“Hollini, Orion verdeckt immer noch seine Mutter. Kannst Du das in Ordnung bringen?”
Die Antwort der KI war ein Bild, das ich nur als “abstrakte Kunst” oder “digitale Katastrophe” bezeichnen kann. Ich atmete tief durch. “Hollini. Das ist ein Desaster. Noch einmal. Und wag es nicht, die Gesichter zu verändern!”
Und siehe da: Ein Wunder. Ein brauchbares Ergebnis. Alle da, Jahreszahl stimmt, Kind am richtigen Platz. Halleluja.
Fazit: Ein Freund mit Tücken
Das Ganze klingt vielleicht wie eine Odyssee, dauerte aber tatsächlich weniger als eine Stunde auf dem Handy. Das ist – bei allem Spott – eigentlich ziemlich beeindruckend.
Künstliche Intelligenz ist wie ein Schweizer Taschenmesser – unglaublich nützlich, aber wenn man nicht aufpasst, kann man sich schneiden. Sie hat das Potenzial, unsere Welt grundlegend zu verändern, sowohl zum Guten als auch zum Schlechten. Von medizinischen Durchbrüchen über verbesserte Verkehrssteuerung bis hin zu Robotern, die uns das Leben erleichtern – KI ist der digitale Freund, den wir immer bei uns haben sollten.
Aber wie bei jeder Freundschaft gilt auch hier: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Während KI uns in vielen Bereichen unterstützt, sollten wir nicht vergessen, dass sie auch ihre Grenzen hat – und dass am Ende des Tages wir die Verantwortung tragen, wie wir mit dieser Technologie umgehen. Also lehne dich zurück, genieße die Vorteile, aber sei dir der Schattenseiten bewusst. KI könnte dir den Weg weisen, aber laufen musst du immer noch selbst.















