Auf der Treppe

Huangshan
Huangshan

In diesem Jahr haben wir in Singapur etwas mehr Regen als gewöhnlich. Normalerweise ist der Monsun nach dem Chinesischen Neujahr durch. Also sollte es irgendwann zwischen Ende Januar und Mitte Februar trockener und heißer werden. In diesem Jahr kam die Hitze erst im März. Noch am 28. Februar hatten wir in einigen Teilen von Singapur um die 225mm Regen. Zum Vergleich: In Thüringen sind über das Jahr 2022 insgesamt etwa 401mm Niederschlag gefallen. Das ist mehr als die Hälfte des jährlichen Thüringer Regens an einem feuchten Tag in Singapur.

Treppensteigen

Dieser Umstand hat dazu geführt, dass wir für einige Zeit unsere Gewohnheiten umstellen mussten. Anstatt am Morgen zur Ostküste oder zu unserem Stausee zu laufen oder zu joggen, haben wir uns Treppen gesucht. Nicht weit von zu Hause befinden sich Blocks des öffentlichen Wohnungsbaus. Nebenbei: diese Wohnungen werden durch den Staat gebaut und ebenfalls verkauft und kosten von 250 Tausend bis zu einer Million.

Die Blocks nebenan haben maximal 14 Stockwerke. Da wir in Singapur die Etagen von unten durchnummerieren, befindet sich das erste Stockwerk im Erdgeschoss. Also haben wir 13 mal zwei Treppen mit jeweils acht Stufen zu besteigen, um von unten nach oben zu kommen. Runter geht’s mit dem Lift.

Das sind 208 Stufen in etwa 2:35min. Das weiß ich so genau, weil ich da inzwischen reichlich Gelegenheit zum Zählen und Messen hatte. Gerade eben habe ich wieder meine 10 Runden gemacht. Amy macht das ebenso, allerdings ein paar weniger. Mutti würde sagen, Amy sei weniger verrückt als ich. Absolut!

Und das wirklich Vorteilhafte an dieser Art Sport ist die Intensität. Für das Verbrennen von mehr als 500 kcal brauche ich gerade mal 40 Minuten. Das ist beim Joggen schlecht machbar.

Und ich muss voller Neid zugeben, dass Amy durch Treppensteigen, zweimal Pilates die Woche und eine knappe Ernährung ordentlich Gewicht verloren hat. Von 63kg auf 56kg. Ich habe meine 8 noch nicht gesehen.

HDB Block in Singapore
HDB Block in Singapore

Wenn ich mich „sehr vernünftig“ ernähre, bin ich oft sehr hungrig. Dann findet sich in der Regel noch etwas „Ungesundes“ wie Schokolade oder Eiscreme. Nach einem kleinen „Zuckerschock“ geht es mir wieder gut – und ich kann wieder lächeln. Meine Waage nicht.

Beim Treppensteigen gibt es viel Zeit zum Nachdenken, da auch das Spielen mit dem Telefon schlecht möglich ist, wenn Du hurtig unterwegs bist. Die Oberschenkel spüren wir kaum noch. Doch eine Erinnerung an eine endlose Treppe und einen mörderischen Muskelkater danach kam dieser Tage hoch.

Bei Bosch Siemens

Vor einigen Jahren waren wir wieder einmal bei unseren Bosch Siemens Kühlschrankmachern (BSH) in Chuzhou zur Arbeit. Das Dorf liegt in der Nähe von Nanjing. Chuzhou musst Du nicht kennen. Mit nur 4 Millionen Einwohnern hat das in China keinen Status. Bei meinem ersten Aufenthalt vor vielen Jahren wurde ich durch BSH in das schlechte Hotel eingebucht. Glück gehabt, denn das andere war sauschlecht. Allerdings hat sich China in der Zwischenzeit ausgesprochen schnell entwickelt.

Dunkel erinnere ich mich daran, wie ich versucht hatte, über meinen Computer mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen. Kennt Ihr noch das Pfeifen des Modems? Damals war das wie ein Erfolgserlebnis, das einige Zeit Spielen am Computer erforderte.

Im Zimmer ohne Heizung war es bitter kalt. So musste ich zwischen warmem Bett und kaltem Schreibtisch mit Telefonanschluss hin und her pendeln, um die Verbindung herzustellen und zu arbeiten.

Das ist aber alles unwichtig. Wenn ich mich am Morgen von meinem Hotel auf den Weg zu BSH begeben durfte, war die Welt in Ordnung. In der Regel liebe ich meine Arbeit und die Kunden. Oft stößt das auf Gegenliebe.

Bosch Siemens in Chuzhou

Das wirklich Gute an meinem Job ist, dass meine Lieblingsfreundin oft eine Rolle beim Kunden übernehmen kann. So hatten wir auch eine Führungskräfteentwicklung bei BSH gemeinsam zu erledigen. Natürlich haben wir dabei immer etwas Zeit, Tourist zu spielen.

„Ihr wollt Euch in der Nähe etwas Interessantes anschauen? Geht zum Huangshan! Das ist ein Berg, den jeder Chinese einmal im Leben erklommen haben muss.“

Da wir uns weit entfernt von Tibet befanden, hatte ich nicht zu „hohe“ Erwartungen an den Berg. 1800 Meter? Das ist doch keine Höhe. Auf dem Weg von Deutschland nach Schenna passieren wir das Timmelsjoch bei 2470 Metern.

Nur 1800? Lächerlich!

Huangshan – Der Gelbe Berg

Beim Eintreffen am Fuße des Huangshan wurde uns angeboten, die Seilbahn nach oben zu nehmen. Stolz lehnten wir ab. Seit wann nehmen wir eine Seilbahn auf den Berg? Das ist etwas für alte Leute.

Huangshan heißt wörtlich übersetzt „Gelber Berg“, wie er seit 747 genannt wird – nach dem Gelben Kaiser, dem Vorfahren der modernen Han-Chinesen.

Erst viel später lernten wir, dass Huangshan das Motiv vieler beeindruckender Landschaftsbilder aus China darstellt. Die Granitformationen sind mit schmückenden Nadelbäumen überzogen. Beim Besteigen des Berges bildet praktisch jede Position ein ansprechendes Fotomotiv. Sehr stark!

Eingang zum Huangshan-Massiv

Bevor wir unsere Reise auf den Huangshan begonnen hatten, wussten wir praktisch nichts über den Berg. Und Google, Alexa oder Siri waren noch nicht erfunden worden. Beim Eintippen von Huangshan in den Internet Explorer gab es eine Fehlermeldung. So begannen wir den Aufstieg.

Kurz nach dem Eingangsportal wurde eine lange Treppe sichtbar. Wir dachten noch, dass das recht nett sei. Was wir nicht wussten: diese Treppe führt bis nach oben.

Die fleißigen Chinesen haben vor mehr als 1500 Jahren massive Stufen in die Granitfelsen rund um den Huangshan gehauen. Damals gab es weder DIN noch ISO. Daher sind die Stufen mal etwas länger, mal etwas kürzer. Mal sind sie recht flach, mal musst Du wirklich überlegen, wie Du den Höhenunterschied einer ausgewachsenen Stufe überwindest. Darum herum lauerten oftmals gähnender Abgrund und Steilhang.

Es gibt tatsächlich keine Straße nach oben. Nur die Seilbahn für zahlende, faule Touristen und eben die unendliche Treppe.

Stufen, Stufen, Stufen…
Tickethäuschen am Huangshan
Landschaft am Huangshan

Es war April und es war sehr kühl. Allerdings war uns nie kalt. Die Stufen haben uns die entsprechende Arbeitstemperatur verschafft. Wir waren uns aber einig, dass die Seilbahn keine Option für eine durchtrainierte Singapurerin und einen Thüringer Recken sei. Niemals!

Viele Tausend Stufen unter Last

Mehrmals durften wir unterwegs Lastenträger bewundern. Diese Lastenträger transportierten praktisch alles zwischen oben und unten.

Da es oben mindestens zwei Hotels gibt und auch in China Umweltschutz eine Rolle spielt, wurden gebrauchte Bettwäsche, Handtücher usw. auf den Schultern zum Waschen nach unten getragen, um am nächsten Tag gewaschen wieder nach oben geschleppt zu werden.

Wir sahen Ballons mit Bratöl auf dem Weg nach oben und auch zurück. Unser abendlicher Rotwein war sicher auch an uns vorbei getragen worden, ohne dass wir es wussten.

Lastenträger gehen die Stufen hoch und runter

An uns vorbei? Ja, weil diese Träger, die ähnlich wie Margitta Gummel vollständig aus Muskeln bestanden, ein Höllentempo vorlegen konnten. Uns wurde erklärt, dass gute Träger am Tag zweimal die Tour machen und dafür gut bezahlt werden würden. Das heißt, die steigen zweimal auf und wieder ab!!!

Unser Aufstieg vom Eingang zum Massiv bis zum Hotel dauerte etwas mehr als fünf Stunden. Obwohl der Huangshan auf der Breite von Kairo liegt, war es ziemlich kalt. Unsere Pausen waren sehr kurz, da die Kälte besonders in etwas Höhe sehr schnell durch die Kleidung drang.

Wenn ich meinen ollen Erdkundelehrer zurate ziehe und mit seiner thermischen Höhenstufe von 0,6 Grad auf 100m rechne, hatten wir zwischen Eingang zum Huangshan und Hotel auf dem Berg um die 8 oder 9 Grad Lufttemperatur verloren und ordentlich Wind dazugewonnen.

Diese Faktoren hielten uns auf Trapp.

Baumaterial wird nach oben getragen

Die Lastenträger waren nicht nur zum Tragen von Materialien unterwegs. Sehr oft mussten sie sich auch um liegengebliebene Touristen kümmern.

Fünf Stunden Treppensteigen am Stück ist eine ordentliche Leistung. Bei Wikipedia wird angegeben, dass die Chinesen etwa 60.000 Stufen rund um den Huangshan in den Felsen geschlagen hatten.

Für unseren fünfstündigen Aufstieg sollten wir davon so um die 14.000 Stufen gegangen sein.

Dagegen ist unser derzeitiges Treppensteigen Spielerei.

Gestrandete Touristen wurden ebenso nach oben oder unten getragen.

Schließlich gab es nach dem Aufstieg als Belohnung einen Rotwein der Marke Great Wall (Große Mauer). Wegen der Strapazen des Aufstiegs war uns der Geschmack des Rotweins ziemlich egal.

Diesen Aufstieg macht der normale Tourist sicher nur einmal im Leben. Natürlich gibt es die Option, die Seilbahn zu nehmen. Davon haben wir auf dem Weg nach unten am nächsten Tag Gebrauch gemacht, „um unsere Gelenke zu schonen“. Das lag aber eher an den steifen Oberschenkelmuskeln. 🙂

Manchmal ist eben der Weg das Ziel. 🙂

Weitere Bilder gibt es hier und unten.

Geschafft
Bild von Google
Bild von Google
Huangshan-Gemälde, gefunden auf Google

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