In Singapur ist die anfängliche Aufregung verflogen. Das hat sicher auch mit unserer Informationspolitik zu tun. Unsere Regierung heizt nicht die Stimmung unnötig an, sondern gibt die erforderlichen Informationen in wenig hektischer Art und Weise. Anfang der Woche hat Malaysia seine Grenzen dicht gemacht. Das heißt, jetzt fehlen in Singapur nicht nur die noch nicht wieder zurück gekommenen Arbeiter aus China, sondern auch die hunderttausend Pendler aus Malaysia.
Unsere Regierung hat gleich klar gemacht, dass wir Vorräte an allem Notwendigen für mindestens drei Monate haben. Außerdem wurde schon in der Vergangenheit sichergestellt, dass wir nicht von wenigen Lieferanten aus nur einem Land abhängig sind. Zudem gibt es auf unserer kleinen Insel mittlerweile viele Möglichkeiten der Selbstversorgung. Unsere mehrgeschossigen, vollautomatischen Gewächshäuser sind da nur ein Beispiel. Die Läden sind bis heute immer gut bestückt gewesen. Ich denke, wir kommen zurecht. Wir sind recht optimistisch und haben nur etwa 20 Rollen Toilettenpapier im Speicher.
Die unaufgeregte Situation liegt sicher auch daran, dass der typische Singapurer – es gibt auch hier ein paar Idioten – eher pragmatisch ist und das Beste aus jeder Lage macht. Und Singapurer sind sehr, sehr gut organisiert und auch diszipliniert. Ein Singapurer ist damit das genaue Gegenteil eines Italieners. In der „Krise“ zeigt sich der Unterschied.
Das Beste aber ist, das die Welt gerade eben „zur Besinnung kommt“. Der Anlass mag nicht so angenehm sein. Und es gibt sicher viel Grund, auf den Virus zu schimpfen. Aber es gibt viel Gutes. Hier nur ein paar Beispiele.
Zur Besinnung kommt auch der arme Hund von Webasto, der seit Wochen seiner Familie zu erklären versucht, dass der zu enge Kontakt mit seiner hübschen Kollegin aus Shanghai rein geschäftlich war. Wer’s glaubt… Ich kenne die Versuchung.
In Wuhan und anderen Teilen Chinas und auch im Rest der Welt kann sich unsere Natur etwas erholen. In vielen Teilen Chinas sehen die Menschen das erste Mal in ihrem Leben, dass der Himmel eigentlich blau ist. Große Teile der Produktion sind auf Halt. Daimler und VW produzieren keine Autos. Das ist neu. Aber der Himmel fällt uns deswegen auch nicht auf den Kopf.
Pro Tag fliegen normalerweise etwa 100.000 Maschinen irgendwo auf der Welt, die etwas gegen 190 Millionen Liter an Kerosin in die Luft gasen. Jeden Tag. Die Lufthansa hat etwa 80% der Kurzstreckenflüge und 90% der Langstrecke gestrichen. Alle anderen Airlines auch. Das wird einen wesentlich höheren Beitrag zum Umweltschutz haben, als Kyoto und Greta jemals erreichen könnten. Denken wir nur an die vielen Plastikschalen und Plastikbestecke, die wir im Moment nicht benötigen. Stark. Und das ist nur ein winziger Teil der Auswirkungen.
Heute Morgen beim 10km Aufwärmlauf ist mir auch aufgefallen, dass unsere Autobahnen – ja, auf unserer kleinen Insel gibt es Autobahnen – weniger als halbvoll sind. Viele Betriebe haben Heimarbeit verordnet. Da es bei uns zum großen Teil Dienstleister gibt, macht sich das ganz gut. In einem Stahlwerk wäre Heimarbeit eher schwierig realisierbar, denn nicht jeder hat einen gut gehenden Hochofen hinterm Haus und eine Walzstraße im Keller.
Heimarbeit ist sowieso meine Sache seit zwanzig Jahren. Schon seit Jahren haben wir unser Büro entweder beim Kunden oder zu Hause. Meine letzten Jahre in Deutschland war ich in Hamburg angestellt mit einem Wohnsitz in Leverkusen. Damals schon haben wir alles auf Heimarbeit eingestellt. Es ist doch absoluter Irrsinn, jeden Morgen ein oder zwei 2-Tonnen-Kutschen – so viel wiegt ein X5 – für eine Stunde oder länger in die eine Richtung zu bewegen und am Abend dann zurück. Auf dem Weg begegnet man dem Nachbarn, der das gleiche Spiel auf fast dem gleichen Weg mit fast dem gleichen Schrotthaufen hinter sich bringt. Zur Zeit gibt es weniger von diesem Unsinn. Das ist doch gut, oder? Es geht jetzt. Wieso nicht später?
Wir haben dieser Tage viele Kundenbesuche auf Video. Viele Unternehmen werden feststellen, dass teure Reisekosten jetzt durch billige Videokonferenzen ersetzt werden können. In der Vergangenheit war das auch schon möglich. Nur haben viele „sehr wichtige Manager“ sich nicht zur Videokonferenz herabgelassen, wenn sie doch die viel interessantere und wohl auch lukrativere Geschäftsreise bezahlt bekommen konnten. Ich kenne das Gefühl der Wertschätzung durch Stewardessen der Lufthansa wegen Deines Meilenkontos. Da wurde auch ich schwach. Mindestens 50% der 100.000 Flugzeuge täglich lassen sich so erklären, denke ich. Und natürlich ließen die sich ohne irgendwelche Einbußen einsparen. Das wäre doch toll, oder? Es geht jetzt. Wieso nicht später?
Und Papa verbringt viel mehr Zeit mit der Familie – weil er muss. Er darf nicht auf Geschäftsreise, wo seine Geliebte wartet. Verboten. Er darf nicht in die Kneipe oder auf die Kegelbahn. Geschlossen. Er darf nicht in die Köln Arena, wo ihm Markus Krebs oft dumme Witze um die Ohren Haut oder wo Mario Barth die Welt erklärt. Geschlossen. Er darf nicht in den Baumarkt. Geschlossen. Also muss er mit Sohnemann spielen. Das ist neu für Sohnemann, und das ist neu für Papa. Aber sicher nicht ganz schlecht. Vielleicht gewöhnt sich Sohnemann daran und will jetzt Papa öfter sehen. Toll. Es geht jetzt. Wieso nicht später?
Unsere Urlaubsreise mit Geschäftsbesuch in Sri Lanka und dann nach Deutschland Ende Mai fällt sicher auch aus. Das ist vollkommen ok. Für viele ist das Jahr nicht komplett, wenn der Hintern nicht mindestens zweimal im Flieger gesessen hat. „Wir waren im Februar auf Bali und im September auf Korsika“ klingt doch viel besser als „Wir sind in den Harz gefahren und zu Oma Erna.“ Für viele unserer Zeitgenossen ist das ein entscheidender Unterschied. Das war es für mich auch. So tragen wir gut zu den 100.000 Flügen täglich bei. Muss das sein?
Zeit zum Nachdenken haben wir jetzt.