Nachdem ich mich vor vielen Jahren schon einmal mit PISA beschäftigt hatte, wurde ich vor ein paar Tagen wieder damit konfrontiert. Dabei musste und muss ich feststellen, dass es einen sehr engen Zusammenhang zwischen der Arbeitsweise und insbesondere der Art und Weise der Ausbildung in verschiedenen Regionen der Welt und deren Bewertung in PISA zu geben scheint.
Wofür steht PISA?
Pisa steht fast immer für die Stadt in der Toskana, die sich eigentlich nur durch den mehr als 700 Jahre alten Schiefen Turm auszeichnet.
Mehr als 5 Millionen Touristen flocken jedes Jahr nach Pisa, um den etwa 4 Grad geneigten Glockenturm der Pisa Kathedrale am Piazza dei Miracoli zu besichtigen. Etwa eine Million davon trauen sich, die Fehlkonstruktion zu besteigen.
Was wäre Pisa ohne diese architektonische Fehlleistung?
Sollten wir auch eine ingenieurtechnische Fehlleistung auf die Beine stellen, um für Touristen an Attraktivität zu gewinnen? Moment, da haben wir schon etwas vorzuweisen.
Wir haben einen Flughafen konzipiert, der nach einer weltweit fast einzigartigen Planungsphase von 15 Jahren (1991 bis 2006), nach 9 verstrichenen Eröffnungsterminen (2011 bis 2018) endlich 2020 eröffnet und anstatt des Budgets von 1,9 Milliarden Euro satte 5,98 Milliarden (das sind plus 211 Prozent = das Dreifache!!!) verschlingen durfte.
Ach ja, diese Fehlleistung haben wir. Es ist unser Flughafen Berlin Brandenburg (BER). Auch BER zieht Besucher an. Etwa 19,8 Millionen Passagiere im Jahre 2022.
Zum Vergleich: Der neue Flughafen Chek Lap Kok in Hong Kong wurde 1989 beschlossen und 1998 eröffnet. Dafür wurden eine zu hohe Insel von 100m auf 7m abgetragen, eine künstliche Insel zur Landgewinnung aufgeschüttet und mehrere Brücken und Tunnel einschließlich eines Airport Express nach Hong Kong gebaut. Im Jahr 2019 wurden 71,5 Millionen Passagiere gezählt. Außerdem ist Chek Lap Kok der größte Frachtflughafen der Welt.
Die Welt, insbesondere die asiatische Welt, spielt in einer anderen Liga. Dazu gehören wir nicht mehr. Wieso? Könnte das vielleicht daran liegen, wie wir lernen und ausbilden?
Was ist der internationale Schülervergleich PISA?
PISA steht auch für den internationalen Vergleich von Schülerleistungen. Die PISA-Studien der OECD sind internationale Schulleistungsuntersuchungen, die seit dem Jahr 2000 in dreijährlichem Turnus in den meisten Mitgliedstaaten der OECD und einer zunehmenden Anzahl von Partnerstaaten durchgeführt werden und die zum Ziel haben, alltags- und berufsrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten Fünfzehnjähriger zu messen (Wikipedia).
Die Fünfzehnjährigen aus 79 Ländern (jeweils etwa 5000) werden in den Fächern Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen getestet, wobei der Schwerpunkt von Untersuchung zu Untersuchung geändert wird. Dazu kommt eine Testkomponente aus dem Gebiet Innovation. In 2022 wurde das kreative Denken bewertet. Ergebnisse der 2022er Bewertungen sind noch nicht veröffentlicht worden.
Die OECD gibt an, dass die Auswahl der beteiligten Schulen und Schüler zufällig erfolgt und nicht durch die betroffenen Länder beeinflusst werden kann.
Beim Studieren der Ergebnisse von 2018 fällt auf, dass die westlichen Staaten nicht in der Spitzengruppe zu finden sind. Sowohl in Mathematik und in den Naturwissenschaften, als auch in der sprachlichen Ausbildung – also beim Lesen – gehen die Spitzenplätze nach Asien.
Während sich China und seine zugehörigen Gebiete Hong Kong, Macau und Taiwan mit Singapur über die Jahre an der Spitze abwechseln, liegt Deutschland auf Platz 20 in Mathe, auf Platz 16 in Naturwissenschaften und auf 21 im Lesen. Großmacht USA steht auf Platz 38, 19 bzw. 13.
Sicher gibt es viele Einflussfaktoren, die zur Erklärung der Unterschiede herangezogen werden können. Migrationshintergrund ist als solcher untauglich, da das PISA-System Schüler mit Migrationshintergrund nicht einschließt – was in sich schon eine bedenkliche Einschränkung darstellt.
Beispielsweise ist Singapur das Einwanderungsland Nummer 1. Jeder Zweite ist hier irgendwann eingewandert, und der Trend hält an. Es kommt eben darauf an, wie Auswahl und Eingliederung erfolgen.
Etwas macht mich nachdenklich: Welchen Grund gibt es, Austauschschüler für ein Jahr in die USA zu senden? Wäre es nicht klüger, diese Schüler irgendwo in Asien lernen zu lassen? In Asien würden sie die meines Erachtens wichtigste Disziplin erlernen. Sie würden lernen, wie man für die Zukunft lernt.
Woher kommen die PISA-Ergebnisse in Singapur?
Für mich ist es nicht verwunderlich, dass Singapur so gut abschneidet. Das Bildungswesen ist meines Erachtens eins der besten der Welt. Schule und Schulergebnisse sind hier immens wichtig. Wenn die Kinder die Unterstufe abschließen, wird ein straffes Examen durchgeführt, das von den Briten übernommen wurde. Dieses Examen, die Primary School Leaving Examination oder auch PSLE ist so wichtig, dass Eltern Urlaub nehmen, um ihre Kinder darauf vorzubereiten. Das betrifft sowohl die weniger Begabten, als auch die Genies unter den Schülern. Lies mehr hier.
Warum das alles?
Wenn Sohnemann oder Töchterchen einen akzeptablen Unterstufenabschluss hinlegen, dürfen sie eine bessere weiterführende Schule besuchen, was eine gute Chance auf einen begehrten Studienplatz bringt und damit die Zukunft absichert.
Mit sehr guten Schulnoten und etwas Glück wird der Sprössling von der Regierung „entdeckt“ und zum Studium auf Eliteuniversitäten irgendwo in der Welt gesendet. Voll bezahlt von der Regierung. Einzige Gegenleistung: der Geförderte muss je nach Förderung bis zu acht Jahre für die Regierung arbeiten. Derart Jobs sind in Singapur sehr gefragt.
So stellt Singapur sicher, dass die Regierung mit den Besten besetzt wird. Die Regierungsmitarbeiter hier sind durchweg sehr gut. Mit brillianten Leistungen hat man eine Aussicht auf einen Führungsposten. Das hängt nicht von einer Parteizugehörigkeit ab!
So wird vermieden, dass Parteimitglieder Minister werden, die wenig intelligent sind und das Land in der Welt blamieren. Annalenas haben hier keine Chance.
Und wie wird die Ausbildung umgesetzt?
Und wie wird hier gearbeitet?
Vor ein paar Jahren hatte ich die Möglichkeit, dem Stahlkocher Bao Steel in Shanghai beim Entwickeln eines neuen Stahls zu helfen. Dafür arbeitete ich mit Kollegen über mehr als ein Jahr jeden Monat für eine Woche in Shanghai. An jedem Tag hatten wir von morgens bis abends stramm zu tun. Natürlich machen Chinesen eine ausgedehnte Mittagspause. Um sechs am Abend gab es ein ebenso gestaltetes Abendessen. Danach ging es noch einmal bis zehn Uhr zurück ins Forschungszentrum. Fast jeden Tag. Keiner hatte damit ein Problem.
OK. Das ist China. Sowas gibt es nur da. Falsch gedacht!
Vor vier Wochen begannen wir unter Amys Leitung mit einer Führungskräfteentwicklung für die Restaurantkette PUTIEN in Singapur. Dafür hatte PUTIEN 34 Führungskräfte zusammengetrommelt, viele aus China, dazu einige aus Singapur, Malaysia usw. Um die Zeit effektiv zu nutzen, wollten sie gerne jeden Tag um 8.30 Uhr beginnen. Der Tag ging dann normalerweise bis sieben und wurde mit einem gemeinsamen Abendessen abgeschlossen. Über Nacht gab es noch ein paar Hausaufgaben. Kein Problem. Wir hatten keine Beschwerden, sondern sehr viel Spaß. Zur Auflockerung wurde mehrmals am Tag gespielt und gesungen.
Sicher fallen uns viele Gründe ein, das östliche Modell zu verwerfen oder zu verdammen. Work Life Balance ist ein solcher Grund. Nur müssen wir uns nicht wundern, wenn wir mit Work-Life-Balance untergehen, weil sich das eben im Wettbewerb bemerkbar macht.
Viel Life und wenig Work führt unweigerlich zum Modell Arbeitslosigkeit, die sehr viel Zeit für Life bietet und keine Zeit für Arbeit erfordert.