In einer Woche beginnt im chinesischen Teil der Welt das Jahr des Schweins. Das Schwein ist das letzte Zeichen im chinesischen Kalender. Als der Buddhistische Götterkönig, der Jadekönig, zum großen Treffen aufrief, kam das Schwein zu spät. Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge wurde das Schwein auf dem Weg hungrig, stoppte für eine Mahlzeit – vielleicht bei McDonalds – und fiel nach dem schweren Essen in einen tiefen Schlaf. Erst nach Stunden erreichte das Schwein verspätet das Meeting.
Daher ist es im Chinesischen ganz normal, jemanden mit ähnlichen Eigenschaften als faules Schwein (Lazy Pig) zu bezeichnen. Das ist dann nicht so böse gemeint, wie es im Deutschen klingt. Als mich Amy auf einem früheren Deutschlandtrip Lazy Pig nannte, fragte mich meine Schwester sofort hinter vorgehaltener Hand: „Wie hat sie dich gerade genannt?“. Wie viele von Euch bin ich noch dazu im Jahr des Schweins geboren. Ich bin also ein Schwein.
In jedem Jahr ist das Neujahr mit einer Massenvölkerwanderung in und nach China verbunden. Viele Chinesen kommen aus ländlichen Gegenden und arbeiten in oft weit entfernten Großstädten. Zumindest einmal im Jahr kehren sie zur Familie zurück. Sie alle sind traditionsgemäß verpflichtet, am Wiedervereinigungsabendessen teilzunehmen, dass am letzten Tag des alten Jahres stattfindet. Daher befindet sich China zu dieser Zeit in einem eher angenehmen Ausnahmezustand, da sich viele Millionen etwa zur gleichen Zeit Flieger, Züge und Autos teilen müssen. Das ist vergleichbar mit einem Deutschland, in dem sich alle Einwohner etwa gleichzeitig auf die Reise machen. Die Chinesen vollbringen zweimal im Jahr diese logistische Glanzleistung; erst zum Neujahr und dann am Nationalfeiertag im Oktober. Normalerweise vermeiden wir diese Zeit für die Arbeit in China. Das ist auch sehr einfach, da dann sowieso keiner arbeitet.
Diese Zeit ist aus einem anderen Grund für die Chinareise nicht zu empfehlen. Wenn Lee, Wong und Chen nach Hause reisen, wollen sie natürlich von ihrem Erfolg in der Geschäftswelt berichten. Als Zeichen des Erfolges sind sie dann auch nicht lumpig mit Geschenken. Die unerhebliche Kleinigkeit, dass Wong keinen Erfolg hatte und daher kein Geld verdienen konnte, wird nicht erwähnt. Also muss auch Wong Geschenke verteilen. Diese werden dann oftmals auf dem Weg nach Hause „ausgeborgt“. Wong ist nicht der einzige Betroffene, da die Wirtschaft gerade etwas langsamer läuft.
Auch bei uns zu Hause laufen die Vorbereitungen. Gestern ging es wieder einmal in eine Einkaufszone mit der Begründung „Im Neuen Jahr darfst Du nicht mit getragener Kleidung herumlaufen.“ Diesen Teil der Überlieferungen nehmen die Damen sehr, sehr ernst. Amy hat an die zehn Teile gekauft. Die gesamte Prozedur dauert mehrere Stunden und wird mit meinem Einkauf eingeleitet. Nach etwa zehn Minuten hatte ich meine zwei neuen Hemden. Amy meinte danach, dass ich jetzt aber auch bei ihr beratend zur Seite stehen müsse. Das An-Der-Seite-Stehen habe ich dann auch für den Rest der Zeit durchgezogen. Nun muss ich mich dazu nicht wirklich quälen, da sie in der Regel umwerfend aussieht – in jeder Art Kleidung.
Heute ging es dann noch einmal zum Einkaufen, um einige Kleinigkeiten zu besorgen, die nur am Neujahr angeboten werden. Wie in jedem Jahr habe ich zuhause wieder einmal den klebrigen Kuchen aus der Einkaufstasche zutage befördert. Der klebrige Kuchen heißt eigentlich Jahreskuchen und ist aus Wasser, Reismehl und braunem Zucker zubereitet. Je nach Region wird das Rezept variiert. Dieser Kuchen hat eine spezielle Funktion. Wie jeder weiß, werden alle Götter am Ende des alten Jahres zum Götterkönig befohlen, um Bericht abzuliefern. Der Küchengott hat das ganze Jahr über im Haus gewohnt, wo er Zeuge des menschlichen Tuns und Lassens gewesen ist. Um ihn daran zu hindern, Schlechtes über die Familie zu berichten, wird ihm das Maul zugeklebt – mit eben dem klebrigen Kuchen.
Wie in jedem Jahr werden wir die nächsten zwei Wochen mit Einladungen und Besuchen bei Freunden und Verwandten verbringen.
Alles Gute im Jahr des Schweins.