Kleider machen Leute

Kleider machen Leute

Heute stehe ich an der Reling auf der Kowloon Seite in Hong Kong und warte auf das abendliche Schauspiel der Lichter auf der Insel. Es ist nicht so, dass das Einschalten der Lampen auf der Insel beim Einbruch der Dunkelheit noch Irgendeinen interessieren würde, obwohl auch das schon gigantisch aussieht. Nein, das abendliche Interesse von Tausenden Touristen wird durch die Lichtshow hervorgerufen. Auf jedem der allein schon durch Form und Normalbeleuchtung beeindruckenden Gebäude gibt es außerdem noch eine farblich abgestimmte Effektbeleuchtung, die im Takt einer nicht hörbaren Musik Farbe und Form wechselt.

Der absolute Clou ist jedoch, dass sich diese Beleuchtung über mehrere Stadtteile, also mehrere Kilometer, erstreckt und alle Gebäude dem gleichen Takt gehorchen. Es sieht imposant aus, wenn zur gleichen Zeit an den hunderte Meter hohen Fassaden einiger Häuser grün-orangene Tierposter auftauchen – verstreut über die Stadteile Wan Chai, Admiralty und Central. Danach gibt es Vögel und viele andere Figuren. Natürlich ist das nur für Beobachter gedacht, die sich auf der Kowloon-Seite befinden und über den Duftenden Hafen – das ist die Übersetzung von Hong Kong – schauen können, vorbei an Fischer-Kähnen, Container-Schiffen und Kreuzfahrtpötten wie beispielsweise der „SuperStar Virgo“. Nachdem ich wieder einmal ein paar Bilder geschossen habe, mach ich mich auf den Weg zum Hotel für meine letzte Nacht, bevor ich nach Hause fliege.

Das Hotel ist im Süden von Kowloon gelegen, nicht unanständig teuer und ganz gemütlich. Meine Definition für gemütlich ist sehr einfach: Nichtraucher, gute Duscheinrichtung, bei der der Duschkopf höher als an meine Knie reicht. Ich habe es aufgegeben, einen Duschkopf in meiner Kopfhöhe zu erwarten. Normalerweise muss ich zum Haarewaschen knien, was Gott-sei-dank nicht lange dauert. Dann eine gute Klimaanlage, die die Temperatur auf 24 Grad oder darunter bringt, ein LAN oder WIFI-Anschluss, um langweilige Berichte in die Welt senden zu können und eine Minibar, damit die Nüsse in Reichweite sind. Das Bett ist immer ok für mich. Alles andere ist Schnickschnack.

Die Nacht verläuft reibungslos. In Hong Kong ist es eher selten, dass Du spätabends oder mitten in der Nacht mit einem Anruf wie „An mo ma?“ geweckt wirst. In China ist das der Standard in fast allen Hotels, auch den teureren. „An mo ma?“ heißt „Massage gewünscht?“

Allerdings gibt die Übersetzung nicht ganz das wieder, was dahinter steckt. Die genaue Bedeutung ist „Hast Du schon eine Dame auf dem Zimmer oder können wir Dir mit einer Massagedame helfen?“

Wenn Du die Frage bejahen solltest, kommt tatsächlich eine junge und in der Regel sehr ansprechend aussehende Dame zur Massage auf Dein Zimmer, die alle Massageutensilien in einem Körbchen dabei hat. Wenn Du Glück hast, bekommst Du tatsächlich eine gute Massage für etwas mehr Geld als auf der Straße. Allerdings beginnen alle diese Damen früher oder später während der Massage an Stellen herumzuschrauben, wo eigentlich keine Massage erforderlich ist – und verlangen Geld für diverse Extras.

In meinem Hotel gibt es so etwas nicht, so dass ich nach einem Film auf HBO und einem halben Bier gut schlafe. Am nächsten Morgen startet mein Flieger schon sehr früh, so dass ich beim Auschecken an der Rezeption allein stehe. Ich freue mich, da ich schon immer Anstehen hasse. Außerdem gibt es noch den weißbehemdeten Sicherheitsdienst, der im Foyer herumspaziert und mich freundlich grüßt, während er einen Knopf im Ohr und ein Mikrofon am Hals hängen hat. Ich fühle mich total sicher und grüße freundlich lächelnd zurück. Mein Koffer steht neben mir und meine Computertasche mit Portemonnaie obenauf, gelehnt an den holzverkleideten Schalter der Rezeption. Alles verläuft reibungslos, und ein paar Minuten später sitze ich im Taxi zum Flieger.

Gerüste werden in Asien mit Bambus errichtet – Flexibel und damit taifunsicher

Nun hole ich meinen Computer heraus, um meine Reisekosten einzutippen. Ich hasse das. Als ich nach dem Portemonnaie greife … ist da nichts. Ich greife nochmal … wieder nichts. Nochmal … wieder nichts. Ich stoppe das Taxi, wobei das nicht so einfach ist, da der Fahrer nur Kanton spricht und mich eigentlich nicht versteht. Ich schaue in meinem Koffer nach, wo nach meiner Meinung kein Portemonnaie sein kann, da ich den im Hotelzimmer schon geschlossen und nicht wieder geöffnet hatte. Aber, wenn Du in Panik bist, machst Du sicher diese dummen Dinge. Um sicherzustellen, dass ich total bekloppt aussehe, nehme ich die Taxisitze ab, um darunter zu schauen. Man weiß ja nie. Keine Brieftasche. Scheiße.

Zurück im Hotel frage ich an der Rezeption nach, ob etwas gefunden wurde. Natürlich nichts. Ich will noch den Sicherheitsdienstler fragen, kann ihn aber nicht finden.

„Entschuldigung, kann ich mit dem Sicherheitsdienst sprechen“, frage ich an der Rezeption.

„Der kommt erst gegen acht Uhr. Über die Nacht ist der Sicherheitsdienst nur auf Bereitschaft aber nicht hier“, ist die Antwort.

„Aber, der war doch vor einer halben Stunde hier. Ich hab ihn doch gesehen!“

„Nein, der war sicher nicht hier. Ich müsste es wissen.“

„Wer war dann der Mann im weißen Hemd und Sprecheinrichtung am Hals?“

„Entschuldigung, das weiß ich nicht. Ich habe niemanden gesehen.“

Langsam geht mir ein Licht auf. Der vermeintliche Sicherheitsdienstler könnte mein Portemonnaie von meiner Computertasche oder dem Rezeptionstisch genommen haben, als ich mich mal weggedreht habe. Das Licht wird zum Scheinwerfer, als ich mir vorstelle, dass dieser nette, vertrauenerweckende Mann im weißen Hemd wahrscheinlich mit der Rezeption kooperiert, die dann natürlich einfach abstreiten kann, dass da jemand war – gegen eine kleine Beteiligung an der Beute. Scheiße.

Blick auf Hong Kong vom Peak

In meinem Taxi tickt die Uhr weiter, auf dem Flughafen wird inzwischen das Frühstück in meinen Flieger gerollt und ich habe kein Geld. Nachdem ich Bilanz gezogen habe, ist die Lage nicht hoffnungslos, da ich meinen Pass wie immer in der Tasche meines Anzugs finde. Nachdem ich im Hotel noch eine polizeiliche Meldung ausgefüllt habe, mache ich mich auf den Weg. Die polizeiliche Meldung ist eigentlich nur gut für die Versicherung. Ich weiß, dass derart Papiere sowohl für das Hotel, als auch für die Behörden etwa so wichtig sind wie das Wetter in Novosibirsk.

Wie zahle ich im Taxi? Keine Frage. Wie schon einmal in Ägypten fülle ich nach einiger nutzloser weil für ihn unverständlicher Erklärung einen Euroscheck für den Taxifahrer aus – der bis gestern noch nicht eingelöst worden war. Die Gefahr ist gering, dass dieser Scheck jemals bezahlt werden muss.

Am Flughafen, wo ich ein elektronisches Ticket habe, was nicht geklaut werden kann, interessiert meine missliche Lage keine Seele, so dass auch ich wieder locker werde und Bilanz ziehe. Das Geld in meiner Brieftasche ist wie immer unerheblich. Einige hundert Dollar verloren. Das ist zwar blöd aber nicht überlebenswichtig. Die Kreditkarten habe ich sofort vom Taxi aus gesperrt, so dass damit Keiner Unfug anrichten kann. Deutscher Personalausweis und Führerschein sind nicht so wichtig. Den ersteren habe ich bis heute nicht wieder beantragt. Noch ein paar Magnetkarten. Alles kein Problem.

Hong Kong, eine Traumstadt

Eigentlich ist das Ganze meine Schuld, da ich meine Wertsachen oft nicht im Auge behalte, Reißverschlüsse an meinen Taschen nie vollständig schließe und auch sonst ziemlich auf die Gutmütigkeit anderer vertraue. Oft ist das berechtigt. Manchmal eben nicht.

Außerdem ist es beeindruckend, wie aus einem ganz normalen Dieb durch ein weißes Hemd und eine Sprechgarnitur ein Vertrauen einflößender Sicherheitsdienstler wird. Kleider machen eben doch Leute. Wenn der noch eine Krawatte dranhängt und ein Sakko überzieht, hat er in vielen Teilen dieser Welt die wesentlichen Voraussetzungen zum Spitzenpolitiker.

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