Wissenschaftliche Studien

Wissenschaftliche Studien

Vor einer halben Stunde steige ich wohlgemutes nach einer gelungenen Präsentation bei unserem Lieblingskunden in die MRT ein, Singapores U-Bahn. Wie immer stehe ich nahe der Tür. Wie immer schaue ich mich um mit einem geübten Blick, um etwaige Bekannte auszumachen wie etwa Ronaldo, Juri Gagarin oder einfach unseren Premierminister. Niemand zu sehen. Beim zweiten Rundflug mit den Augen prüfe ich normalerweise, ob Kunden oder Freunde im Zug zu finden sind. Der dritte Blick gilt – wie immer – der Datensammlung zur Vertiefung meiner Studien über das andere Geschlecht. In Singapore ist es in der Regel recht einfach, gute Studienobjekte ausfindig zu machen.

Gerade mitten in der Projektarbeit sehe ich bei der Einfahrt in einen Bahnhof in etwa 200m Entfernung ein ausgesprochen würdiges Studienobjekt. Das Objekt ist ganz in schwarz gekleidet – gehört wohl zum Inventar in einer Bank oder Versicherung – geht auf unverschämt hohen Absätzen und sieht schon von weitem sehr ansprechend aus. Beim Einfahren in den Bahnhof hoffe ich im Stillen, dass der Zug das Objekt irgendwo in der Nähe meiner Tür platzieren wird.

Geklappt. Das Objekt – eine Chinesin mit halblangen schwarzen Haaren, etwas dunkler Haut und Make-Up in genau der richtigen Abstimmung – steigt direkt vor meiner Nase in den Zug und … hat wohl auch schon von meinen Studien gehört. Um meine Studien zu erleichtern und mir dabei ein inoffizielles Einverständnis zu signalisieren, stellt sich das Objekt unnötig nahe meiner Aktentasche auf. Ein Fuß wird gekonnt etwas nach vorne geschoben, wobei eine sehr elegante Fußkette etwas nach unten rutscht. Ich kann mit meinen Studien beginnen. Mit einem geübten Blick auf das Bein wird eine andere Frage beantwortet: Ja, die sehr seidige, etwas getönte Haut ist Natur. Den Schuhen willst Du nicht begegnen, wenn Du die Dame verärgert hast. Sie sehen sehr gefährlich aus – aber unheimlich sexy. Studienobjekte auf wohlgeformten, langen, braunen Beinen in hochhackigen, schwarzen Velourlederschuhen sind der absolute Renner und immer wieder eine wohltuende Abwechslung während der Studien. Und, ich werde den Gedanken nicht los, dass ich das Wesen schon einmal gesehen habe.

Wie rein zufällig bleibt ihr Blick für den Bruchteil eines Augenblicks in meiner Richtung hängen, ohne mich anzusehen. Dabei besteht die Möglichkeit, meine Studien zu vertiefen. Die Augen sind wie immer bei Asiaten sehr dunkel. Bei diesem Exemplar gibt es ausnehmend große Augen. Das ist nicht so oft anzutreffen. Außerdem fällt mein Blick auf angenehm zierliche Ohren mit kleinen Ohrsteckern, die nur Auserwähle zu sehen bekommen, wenn das Haar beim Wenden des Kopfes etwas fliegt und den Blick auf Hals und Ohren erlaubt. Der Hals ist wohl eine der Hauptattraktionen an diesem Studienobjekt. Er ist nicht zu kurz, schlank und wohl geformt und mit einer etwas helleren Variante der gleichen seidigen Haut überzogen, die ich auch schon am Bein sehen durfte. Er endet über den Halsknochen, unterhalb derer eine halboffene weiße Bluse in leichte Wölbungen übergeht und in einem schwarzen Jackett verschwindet. Eine zierliche Halskette erinnert stark an die am Fuß, die ich vorher schon beobachten konnte.

Der Zug fährt über eine Weiche und rüttelt etwas an den stehenden Fahrgästen. Das Objekt steht – bewaffnet mit Handtasche und iPad – ohne eine Hand an den Haltegriffen und wird durch das Rütteln leicht in meine Richtung dirigiert. Dabei passiert es doch tatsächlich völlig unabsichtlich, dass der Arm der Dame den meinen berührt. Sie benutzt ein atemberaubendes Parfum. Es könnte sich um Pleasure von Estee Lauder handeln. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder wird sie mich freundlich anschauen und etwas wie “Sorry, sorry” in den Raum hecheln. Oder sie wird so tun, als sei nichts passiert und weiter geradeaus blicken. Sie entscheidet sich für letztere Variante. Der Blick ist jetzt genau so weit von mir abgewendet, dass sie für einen ungeübten Beobachter nichts mit mir zu tun hat, doch dabei immer genau meine Reaktionen verfolgen kann. Für mich ergibt sich dadurch die Möglichkeit, das Profil des Objektes zu studieren, das Alter auf 28 Jahre und dreieinhalb Monate zu schätzen und mein Gesamturteil vorzubereiten.

Das Profil fällt in die Kategorie tadellos mit einer Taille, die ich fast mit einer Hand umfassen kann, einem wohlgeformten Hintern und eben den besagten Beinen. Bei der Annäherung hat das Objekt jetzt fast alle Karten ausgespielt. Jede weitere Bewegung in meine Richtung wäre etwas zu viel und würde den Marktwert des Objekts sofort fallen lassen. Daher ist es jetzt an mir, zufällig in ihre Augen zu schauen oder von der nächsten kleinen Bewegung des Zuges eine große Bewegung meines Körpers abzuleiten und den Arm zu streifen oder sogar – und das ist dann schon fast ein Spielen mit dem Feuer – Bein oder Po zu berühren. Ich führe eine kurze Risikoanalyse durch und beschränke mich auf die Blickvariante. Mein Kleinhirn, das schon seit einiger Zeit so etwas wie “Feigling! Feigling!” ruft, fügt jetzt auch noch ein “Blödmann! Blödmann!” hinzu.

Die Unabhängigkeit des Beobachters ist eine wichtige Qualitätsanforderung an wissenschaftliche Studien. Von dieser Unabhängigkeit lasse ich mich grundsätzlich leiten, … auch wenn ich schon darüber nachdenke, wie ich entweder meine Karte in ihre Handtasche oder meine Nummer auf ihr Mobiltelefon bekommen kann. Wenn ich den Zug nach Bluetoothgeräten absuchen lasse, werde ich wie immer dreißig bis vierzig Telefone angezeigt bekommen. Allerdings ist sehr schwer auszumachen, welcher Bluetoothname zu welchen Beinen gehört. Daher beschränke ich mich auf einen langen Blick in die Richtung des Studienobjektes, um die Verbindung nicht abreißen zu lassen. Wahrscheinlich ist das nicht die vom Objekt erwartete Reaktion. Das Objekt erwidert meinen Blick nicht, sondern greift mit einem eleganten Blick nach dem Telefon, tippt darauf herum und bringt es dann mit so viel Anmut ans Ohr, wie eine Dame in einem Wiener Kaffeehaus den zierlichen Löffel für die Sachertorte bewegen würde. Nun folgt ein Telefonat, das ganz offensichtlich darauf ausgerichtet ist, bei mir erhebliche Abneigungsgefühle gegenüber dem höchstwahrscheinlich männlichen Gesprächspartner hervorzurufen. Mein Kleinhirn sagt dazu nur „Selber schuld, Du Idiot!”

Wie so oft vorher schon beobachtet, ist es viel einfacher, jemanden anzuschauen, wenn man ein Telefon am Ohr hat. Jetzt passiert es mehrfach, dass das Objekt quasi in meine Richtung starrt und auf meinen Blick mit einem Lächeln reagiert … das sich nach einem Augenblick als ein Lächeln für den Gesprächspartner am Telefon entpuppt. Schade auch. So sieht Strafe aus.

Nachdem das Objekt das Gespräch beendet hat und das Telefon – in einer Hand iPad und Handtasche – mit der freien Hand wieder zu verstauen sucht, fällt rein zufällig ein Notizblock auf den Boden. Ganz offensichtlich gibt es keine Chance für das Objekt, den Block selbst wieder in die Handtasche zu befördern. Daher eile ich zu Hilfe und bekomme eins der süßesten Lächeln als Dankeschön. Mein Kleinhirn jubelt „Gut gemacht. Bleib dran!”. Nun nehme ich all meinen Mut zusammen und hole zum finalen Angriff aus. Der Plan sieht vor, das Objekt auf das Fahrziel anzusprechen und dann in eine lockere Plauderei zu verwickeln. Gerade als ich alle meine Sinne zusammengenommen und den Kloss im Hals heruntergeschluckt habe, stoppt der Zug und … das Objekt steigt aus, nachdem sie mir einen letzten Blick zugeworfen hat. Den Abschluss meiner Studie an diesem Tag wird die Beschreibung des Abgangs eines Studienobjektes bilden, das mich so stark an Amy erinnert, dass ich mich rasch auf den Weg nach Hause mache…

In der Haut

Auf meinem Weg nach Singapur kam mir am Frankfurter Flughafen sitzend wieder meine Aufgabe in den Sinn. Da der „normale Mensch“ heutzutage eher nichts zu essen als keine Verbindung zur Außenwelt hat, nahm ich mein Telefon und klimperte einen Terminwunsch auf die Website unseres Krankenhauses gleich um die Ecke in Singapur. Etwa zwei Minuten nach dem Absenden der Anmeldung klingelte mein Telefon.

Another Marathon

At the Start around 05:00h, I am really in a good shape like everyone else – hyper-optimistic and full of zest for action, for my next marathon. Let’s go.
The first kilometres pass by easily, since there is a good portion of pride. Not everyone runs a marathon. The fact that I am in my fifties adds to that pride.

Kleider machen Leute

Heute stehe ich an der Reling auf der Kowloon Seite in Hong Kong und warte auf das abendliche Schauspiel der Lichter auf der Insel. Es ist nicht so, dass das…

Im Land der Hakka

Zu Besuch bei den Hakka

Als die Hakka in der gebirgigen südwestlichen Provinz Fujian in China siedelten, entwickelten sie einzigartige architektonische Gebäude, die Tulou (土樓) genannt werden, was wörtlich übersetzt Lehmbauten bedeutet.

Über Singapore2010

Ja, hallo erstmal. Ich weiß gar nicht, ob Sie es wussten … vom 14. bis 26. August 2010 wurden in Singapore die ersten Olympischen Jugendspiele ausgerichtet.

Das Jahr des Tigers

Vom 01. Februar 2022 bis 21. Januar 2023 haben wir im östlichen Teil der Welt das Jahr des Tigers, genauer gesagt, das Jahr des Wasser-Tigers. Während sich die Tierkreiszeichen wie Tiger alle zwölf Jahre wiederholen, gibt es den Wasser-Tiger nur alle 60 Jahre. Dazwischen kommt der Tiger als Holz-, Metall-, Feuer- und Erde-Tiger. Hier mehr dazu.

In Putien

Chinesisch für Anfänger

Vor einiger Zeit hatte ich Anlauf genommen, mein Chinesisch aufzubessern. Dazu hatte ich eine Peking-Chinesin in Singapur nach Hause kommen lassen. Mit ihr hatte ich gute Fortschritte erzielt, da sie kein…

Singapore

Singapur ohnegleichen

Singapur, das Land, in dem alles reibungsloser läuft als die deutsche Bahn jemals könnte, ist nicht einfach nur ein Land – es ist ein Lebensgefühl.

Die Kraft der Langeweile

Wie oft hast du schon unter Langeweile „gelitten“ und dich dabei vielleicht sogar schlecht gefühlt, weil du ja in der Zeit der Langeweile etwas Nützliches erledigen könntest? In der heutigen…

Wieder in Wuxi

Wieder einmal hatte ich das Vergnügen, mit einer deutschen Firma in Wuxi eine Woche zu arbeiten. Diese Woche war etwas regnerisch. Bei schlechtem Wetter sieht man viele bunte Schirme auf…

Comments

No comments yet. Why don’t you start the discussion?

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

  +  38  =  forty