Sitze gerade in meinem Hotelzimmer in Peking. Gestern angekommen haben wir heute ein paar Kleinigkeiten zu tun und fliegen morgen wieder sechs Stunden zurück nach Singapur. Peking fordert von einem Singapurer einiges Umdenken. Schon vor der Abreise gehe ich einer fast vergessenen Gewohnheit nach: ich schaue auf die Wetterdaten von Peking. Ups, da werden -6°C angegeben.
Beim Entstauben und Durchsehen meiner Winterklamotten kommen Michael Flatley Tickets für die Erfurter Messe aus dem März 2010 zum Vorschein. Auch bin ich mir nicht sicher, ob ich Handschuhe besitze. Einen Schal kaufe ich am Flughafen – und los geht’s in den Winter. Amy ist naturgemäß im Umgang mit dem Wetter noch weniger erfahren. Das Resultat ist in der Regel, dass sie nach jedem Kontakt mit einer nicht-Sommer-Jahreszeit in einem Einkaufszentrum verschwindet und sich neu ausstattet. Den Vorteil habe ich nicht.
Peking hat mit etwa 19 Millionen mehr Einwohner als die DDR. Erinnert sich noch jemand? Ein großer Unterschied zur DDR wird sofort beim Eintreffen sichtbar: In Peking ist der Anteil der Chinesen wesentlich grösser. 🙂 Bei meiner ersten Ankunft in Peking vor einer gefühlten Ewigkeit war die Stadt schmutzig, die Menschen in grau gekleidet, die Straßen waren voller Fahrräder und die wenigen Autos vermutlich älter als Mao Tse Tong.
Heute sieht das anders aus. Die Stadt ist pieksauber, die Menschen sind farbenfroh und oftmals edel gekleidet. An den Straßenecken siehst Du viele alte Fahrräder, die offensichtlich von den Neureichen auf dem Weg zum Autohändler weggeworfen worden sind, bevor sie sich einen Porsche oder Lamborghini gekauft haben. Jetzt, da die Amerikaner am Hungertuch nagen, ist China der größte Markt für Ferrari und Co. Deutschland kann da schon lange nicht mehr mitspielen. Auf der Straße in Peking habe ich in nur einer Stunde mehr edle Autos betrachten können, als Du an einem ganzen Tag in Köln zu sehen bekommst.
Peking ist auf einer geographischen Breite südlich von Neapel, erfährt allerdings starken Einfluss der Wüste Gobi auf das Klima. Das heißt, dass der Sommer sehr heiß sein kann, während der Winter auch schon mal kälter als der deutsche ist. Dabei gibt es von Zeit zu Zeit Wüstensand, der die Luft trübt und den Autolack zerstört. Die Temperaturschwankungen unter diesem terrestrischen Einfluss können recht krass sein. Bei früheren Besuchen habe ich mir in Peking schon einige Kleidungsstücke kaufen müssen. Das waren in der Regel keine Badehosen.
Eine Sache hat sich in den letzten Jahren in Peking nicht geändert; das ist das Benehmen der Pekinger. Schon am Flughafen angekommen werden wir wieder einmal in die chinesische Wirklichkeit zurück bombardiert. Die Schlange am Taxistand dient als exzellente Trainingseinrichtung für das praktische Überleben in China und ist der sanfte Hinweis darauf, dass man als braver, den Regeln folgender Bürger niemals ein Taxi bekommt, da man von normalen, den chinesischen Sitten folgenden Bürgern ‚überholt‘ wird.
Nach mehr als 30 Besuchen in China sollte ich schon mit einiger Übung im täglichen Überleben ausgestattet sein, besonders dann, wenn meine chinesisch sprechende Lieblingsfreundin dabei ist. Trotzdem unterlaufen mir noch Flüchtigkeitsfehler. Eigentlich sollte es Sinn machen, ein Hotel in der Gegend zu buchen, wo man auch zu tun hat. Das ist ok, wenn man dahin laufen kann. Falls nicht, ist das total falsch. Heute Morgen haben wir etwa zehn Taxifahrern versucht, den Weg vom Hotel zur Firma auf unterschiedliche Art und Weise zu erklären. Englisch haben sie nicht verstanden, die ausgedruckte Adresse in Chinesisch konnten sie nicht lesen und auf die Erläuterungen einer Singapurerin gibt sowieso in China niemand etwas. Dann kam uns ein Geistesblitz: die wollen uns nicht verstehen, da der Weg mit etwa 15 Minuten zu kurz ist. In 15 Minuten fährt man nur einen kleinen Teil der Riesenstadt ab. Dafür gibt sich kein Taxifahrer her.
Dafür gibt es zwei Lösungen: Entweder man bucht ein Hotel, was möglichst weit von dem Zielort entfernt liegt. Einmal quer durch Peking, dann mag Dich der Taxifahrer. Für einmal von Peking nach Tianjin kannst Du seine Zigaretten rauchen und für einmal Peking – Shanghai darfst Du seine Frau ausleihen. Oder so ähnlich.
Die andere Lösung haben wir heute getestet: Freundlich lächelnd rein ins Taxi, Jacke und Schuhe ausziehen und so richtig häuslich einrichten – und danach die Adresse rüberreichen. Der Taxifahrer leiht Dir dafür zwar nicht mal sein Feuerzeug – aber es klappt.
Allerdings muss ich sagen, dass das Benehmen dieser Taxifahrer verständlich ist, wenn Du auf den Taxameter blickst. Dort wurden für unsere kurze Strecke nur RMB 15 angezeigt, was etwa EUR 1,50 bedeutet. Ich erinnere mich, dass ein deutscher Taxameter einen wesentlich höheren Grundbetrag hat. Für eine Fahrt vom Düsseldorfer Flughafen nach Leverkusen-Opladen – also quasi nur um die Ecke – wurden Beträge von drastisch mehr als EUR 30 fällig. Dafür fährt Dich ein Pekinger Taxifahrer wohin Du auch immer möchtest. Und die Frau kriegst Du noch dazu.
Zu Hause angekommen wird meine Bemerkung zu diesen Preisen von einem Deutschen etwa so beantwortet: ‚Ja, die Lebenshaltungskosten in China sind doch wesentlich niedriger.‘ Das ist meiner Meinung nach nicht ganz richtig. Die Lebenshaltungskosten in Deutschland sind höher, nicht anders herum. Wenn Du in Peking ein vollständiges Mittagessen mit Vorsuppe in guter Qualität für schon EUR 2 bekommst, ist das nicht ein Problem der Chinesen. Das ist unser deutsches Problem. Nun ist das Mittagessen mit Vorsuppe von der Globalisierung nicht so sehr betroffen, da wir das Mittagessen in Deutschland essen müssen und nicht dafür nach China fliegen werden.
Allerdings ist das bei vielen Produkten anders. Durch die Globalisierung werden Produkte international vergleichbar. Und wir – jeder von uns – kaufen kostengünstig ein. Das heißt, dass unsere Produkte sehr wahrscheinlich aus China kommen. Wenn ein Arbeiter mit Unterstützung der Gewerkschaften in Deutschland viel mehr verdient, als sein chinesischer Kollege, heißt das entweder, dass die Produkte wesentlich teurer sein werden oder die Arbeitsproduktivität des Deutschen wesentlich höher sein muss.
Letzteres glaube ich nicht eine Sekunde, da ich jeden Tag sehe, wie die Menschen hier in Asien arbeiten. Vielleicht sind die deutschen Werkhallen noch etwas produktiver als die in China. Aber nicht mehr als ein paar Prozent und nicht mehr lange. Das heißt, dass jeder Griff in das Regal nach den preisgünstigeren Produkten und jeder Streik für einen höheren Lohn den Lebensstandard der Menschen in China (und weiteren Teilen der Welt) dem der westlichen Welt angleicht.
Die Zukunft ist, dass wir viel, viel mehr Chinesen auf Urlaub in Deutschland sehen werden, während sie in China deutsche Autos fahren und jeder Art Luxusartikel kaufen werden. Bis dahin werden die Wachstumsraten in Deutschland kaum der Rede wert sein, während China und Indien zweistellig wachsen werden. Und da ist nichts, was wir dagegen tun können.