Sieben Tage in Tibet

Sieben Tage in Tibet

Vom 27. Mai bis 02. Juni 2009 haben Amy und ich zusammen mit unseren Freunden Frank und Mila und einer gemischten Reisegruppe aus Singapore und Indonesien in Tibet verbracht. Eine tolle Erfahrung, die wir wohl nur einmal machen werden. Warum das Abenteuer? Seit langem war das „Dach der Welt“ einer meiner Traumziele. Leider wusste ich nicht, dass das weniger ein Urlaub, sondern viel mehr ein Abenteuer mit einigen durchaus harten Einlagen werden sollte. 

1. Tag: Ankunft in Xining

Unser Flug von Singapore über Shanghai und Xian nach Xining verläuft ohne Probleme. Unsere Airline China Eastern hat sich über die letzten Jahre stark gemausert: Es gibt fast ausschliesslich Airbus-Flieger mit moderner Einrichtung. Nur bei den Inlandflügen lassen die Ausstatter wohl ausser acht, dass da auch ab und zu Nicht-Chinesen mitfliegen wollen. So stosse ich mit meiner eher normal-geformten Nase an die Lehne meines Vordermannes, wenn der sich zum Schlafen niederlegt. Chinesisches Design eben. Das Beste wäre, man würde alle Sitze automatisch gleichzeitig zum Schlafen umlegen, so wie Kekse in einer Packung De Beukelaer alle gleichzeitig nach einer Seite kippen. Keine Missverständnisse mehr und jede Menge Platz. Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie wohl unsere US-amerikanischen Mitbürger darin Platz finden würden. Ich beschreib das besser nicht. Das sollte wohl so ähnlich aussehen, wie ein halbgeschmolzenes Pücklereis zwischen zwei Waffeln.

Unser Zwischenstopp in Shanghai Pudong sollte eigentlich ohne weitere Probleme im Transitbereich des Flughafens stattfinden. Allerdings wurden unsere Pläne leicht durchkreuzt. Aufgrund der weltweiten Schweinegrippeepidemie werden aus dem Ausland kommende Besucher nicht sofort zum Verlassen des Fliegers gebeten, sondern müssen erst einen Gesundheitstest unterlaufen. Ein Team aus vier in Raumfahrtanzüge gekleidete Mediziner betritt den Flieger, während alle Passagiere noch in ihren Sitzen bleiben. Diese vermeintlichen Mediziner haben Infrarot-Temperaturmesser, die wie Pistolen geformt sind.

Mit den Pistolen wird aus einer Entfernung von einem Meter auf die Stirn jedes Passagiers „geschossen“ und dann die Temperatur abgelesen. Da diese Aktion wohl schon in Fleisch und Blut übergegangen ist, verliert man dadurch recht wenig Zeit. Nach ein paar Minuten ist alles vorbei. Nur eines darf nicht passieren: Es darf kein Husten oder Niesen zu hören sein. Das würde einen komplizierten Untersuchungsprozess auslösen, der in einer Quarantäne für alle enden kann.

Nach der Ankunft in Xining unternehmen wir unseren ersten Trip. Wir fahren auf ein 3000m hoch gelegenes Mönchskloster in Xining in der Nähe von Tibet – zum Eingewöhnen. Interessant für mich ist die augenöffnende Tatsache, dass schwere Arbeiten wie Steine schleppen und Lastwagen beladen von Frauen im mittleren Alter durchgeführt werden. Eine schicke Idee, der ich einige gute Seiten abgewinnen kann. Wahrscheinlich werden wir nach der ewigen Emanzipationsdiskussion auch irgendwann zurück zur Natur finden und damit jahrtausendealte Spielregeln wieder herstellen.

Mönch scheint ein toller Job zu sein. In welchem anderen Job kann man sich am hellichten Tag mit Handy am Ohr auf der Matte räkeln, während Besucher vergeblich – immer fleissig Geld spendend – nach der Religion in all dem suchen.

Unser Hotel liegt auf 2600m und ist ganz gemütlich.

2. Tag: Xining und Einsteigen in den Zug nach Lhasa

Wir sind heute etwa 160km auf dem Hochland von Tibet von Xining zum Qinghai See gefahren. Stundenlang über 3100m Höhe. Interessant. Am See auf 3170m treffen wir auf Tibetaner, die darauf trainiert sind, nett zu Touristen zu sein, indem sie denen bei arschkaltem Wind einen dicken, hässlich-grünen Yakwollmantel verleihen. Ausserdem bieten diese Tibetaner den Touristen einen kurzen Trip auf einem Boot zu einer Insel, zu der man auch zu Fuss oder per Bus gelangen könnte, da sie sich später als Halbinsel herausstellen wird. Auf der vermeintlichen Insel besteht die Möglichkeit, mit einem Buggy durch den Sand bis zum anderen Ende zu rasen – mit ungefähr 9km/h. Mir ist bis heute rätselhaft, wieso man bei eiskaltem Wind auf über 3000m Höhe mit dem Buggy kutschen muss.

Zusätzlich gibt es zum “Ein Bild mit mir kostet 10 Yuan” noch “Ein Ritt auf meinem Pferd kostet weitere 10 Yuan”. Wenn dann das Pferd von seinem eigenen frischgeborenen Fohlen begleitet wird, werden die Bilder nochmals teurer.

Am Abend geht es auf dem Weg zum Zug noch an einem berühmten Buddhistischen Kloster in Xining vorbei – mit kurzer Visite. Auf dem Weg dahin besuchen wir ein Museum für Tibetanische Medizinkunst, dass sich als Shoppingmeile mit tollem Konzept zeigen wird: Zuerst Preisen der grossen Errungenschaften Tibets in der Naturheilkunde über die letzten 3217 Jahre oder so – dann Vorbereiten der Besucher auf die Qualen, der Touristen normalerweise auf grosser Höhe ausgesetzt sind – danach Vorstellen einer unüberschaubaren Menge von medizinischen Angeboten für ziemlich jede Situation des normalen und unnormalen Lebens zu überteuerten Preisen an Verkaufsständen, die Dich von dem Ausgang trennen – und zuletzt Verlocken zum Kauf von irgendwelchen Medikamenten, die Du sowieso nicht brauchst. Zumindest wirst Du durch den Kauf das dumme Gefühl los, aus der Reihe zu tanzen.

Wir schlagen zu und kaufen ein merkwürdiges Wurzelholz, das nach dem Eintauchen in warmes Wasser aussieht wie ein überlagertes Stück Rindfleisch mit Schusswunden. Es soll gegen die Höhenkrankheit helfen. Welche Höhenkrankheit? Nach dem Geschmack zu urteilen muss es unheimlich gut wirken. Später sollen wir dann feststellen, dass es das gleiche Zeug auch in Pillenform zu kaufen gibt – zu einem viel kleineren Preis natürlich.

3. Tag: Im Zug

Wir schlafen im Zug – ein bisschen. Leider kann ich nicht so gut schlafen, wenn mein Bewegungsraum auf 2m mal 70cm eingeschränkt ist. Der Zug fährt fast durchweg über 3000m Höhe. In der Vierbettschlafkabine sind Fernseher für jeden, Radio und Sauerstoffanschluss. Wir sind gut drauf, da wir in Kürze den höchsten Punkt erreichen werden, den je ein Zug befahren hat. Aber uns wird langsam etwas komisch zumute. Es fühlt sich an wie Kopfschmerz, der sich allerdings nicht wie normaler Kopfschmerz mit Aspirin oder Ibuprofen vertreiben lässt.

Haben eben die Höhe des Mt Blanc im Zug passiert. Jetzt sind wir über 4900m. Im Zug mit Sauerstoffzuhr in der Kabine. Draussen parken ein paar Yaks, Schafe und Ziegen. Von Zeit zu Zeit zieht ein Zelt vorbei, in dem wohl die Yak-Hirten übernachten. Es sollte mich nicht wundern, wenn das Zelt von innen viel grösser aussehen würde als von aussen (schon mal “Klick” mit Adam Sandler gesehen?) und mit Plasma-Fernseher und Induktionskochplatte ausgestattet wäre. Vielleicht auch nicht.

Im Moment sind wir auf einer 1200km langen Ebene, d.h. trotz Höhe ist kein Berg zu sehen. Die UV-Strahlung ist so hoch, dass viele Tibetaner an Blindheit leiden. Für uns sind UV-Sonnenbrille und Hut Pflicht. Die nächste Station gibts in 6 Stunden erst. Wir trinken unsere, aus dem Wurzelsud gewonnene Chinesische Medizin, die gegen die Höhe helfen soll. Wahrscheinlich ist das für die Älteren. Wir haben kein grösseres Problem bisher. Schaun mer mal.

Die Höhe kann man daran erkennen, dass einige luftdicht eingeschweisste Plätzchenpackungen explodiert sind. Wir haben unseren Höhenmesser: Eine Trinkflasche – fest verschlossen bei 4900m – zeigt uns durch „Steifwerden“ an, dass wir gegen die maximale Höhe von 5070m gehen. Im Moment ist die Flasche gerade zerknittert, da wir wieder unter 4200m „abgestiegen“ sind.

Gerade eben 5075m passiert. Der höchste Punkt, der mit einem Zug erreichbar ist. Tolles Gefühl, das allerdings weder durch Landschaft, noch durch Mensch und Tier irgendwie unterstützt wird. Draussen liegt kein Schnee und das Wasser sieht auch nicht nach Eis aus. Yaks, Schafe oder Ziegen lassen keine Anzeichen von Begeisterung erkennen. Auch die Menschen – meist Hirten – sind von der Grosstat der Ingenieurkunst nicht berührt.

Sind jetzt schon seit mehr als 8 Stunden über 4000m mit etwa 100 km/h unterwegs. Das Gebiet ist riesig! Langsam wird uns auch die Luft knapp!

Neben uns ein kleiner Riese. Das sollten wohl mehr als 6000m sein. Der fällt aber eigentlich nicht so sehr auf, da wir uns ja schon bei 4000m befinden. Interessanterweise liegt hier fast kein Schnee und es sieht draussen heiss aus. An einer Station mit einem unaussprechbaren Chinesischen Namen gehen wir raus zum Frische-Luft-schnappen. Frisch ja, aber Luft? Wir haben Hoffnung, dass wir uns irgendwie an die Höhe gewöhnen können. Es gibt sehr viele Yaks draussen und keines davon trägt eine Sauerstoffmaske. Es ist aber wahrscheinlich, dass sich die Yaks von der besagten Wurzel ernähren. So machen wir es auch und trinken weiter unseren Sud. Schmeckt beschissen, sollte also gut wirken.

Nach 24 Stunden im Zug treffen wir in einem hochmodernen Bahnhof in Lhasa ein. Leider sind noch einige Auswirkungen der Unruhen vom letzten Jahr zu spüren. Es gibt viel Armee rund um den Bahnhof. Busse dürfen nicht bis an die Ankunftshalle heranfahren, was in einem Fussmarsch von 10min für jeden Touristen resultiert. Eigentlich kein Problem. Allerdings wird es ein Problem, wenn die Touristen aus einem Zug mit Sauerstoffversorgung plötzlich in Lhasa auf 3650m Höhe ins Freie treten und dazu Koffer schleppen müssen. Vielleicht ist das ein Test der Nehmerqualitäten der Touristen. Unsere Reisegruppe ist gut im Nehmen.

4. Tag: Lhasa

Haben jetzt eine Scheissnacht hinter uns. Der Puls ist immer etwas zu hoch zum Schlafen, da das Herz den fehlenden Sauerstoff durch schnelleres Pumpen ausgleichen möchte. Das wird wohl solange anhalten, bis der Körper den geringeren Sauerstoffanteil in der Luft durch Bilden von zusätzlichen roten Blutkörperchen ausgeglichen hat, die dann zum Transport von mehr Sauerstoff genutzt werden können. Nur dadurch können Gehirn und andere Organe ausreichend versorgt werden.

Bei jeder Bewegung fragt man sich, ob die wirklich sein muss. Treppensteigen ist eine sehr schlechte Idee. Geradeaus Laufen geht etwas langsamer als sonst.

Heute besuchen wir den gigantischen Potalapalast. Dalai Lama ist nicht da. Er sitzt seit 50 Jahren in Indien in seiner Sommerresidenz. Wenn ich einen Palast in Tibet hätte wie der Dalai Lama, würde ich nicht in Indien rumhängen. Einige der Räume in Potala sind gar nicht so schlecht. Grundsätzlich ist alles aus Yaks gemacht – fast alles. Yakhaarvorhänge, Yakfellvorleger, Yakbutterkerzen, yakgewachste Böden und yak…. Eben fast alles aus Yak. Die Isolierung des Palastes ist aus Lavendelholz. Davon gibts auch einiges auf grosser Höhe.

Am Nachmittag besuchen wir das Mekka der Buddhisten, den Jokhang-Temple in Lhasa, der sich in Sichtweite des Potala-Palast befindet. Hier sind die letzten Dalai Lamas begraben, sitzend eingegossen in Gold und Bronze. Ausserdem lernen wir, dass es neben dem Dalai Lama und den südamerikanischen Lamas noch den Panchen Lama und den Karmapa gibt. Die beiden letzteren haben sich nicht „gedrückt“, sind in Tibet geblieben und arbeiten mit der Regierung zusammen.

5. Tag: Lhasa

Sitzen wieder im Bus und fahren zu einer heissen vulkanischen Quelle auf etwa 4600m. Einige nehmen ein Bad in den Heilwassern. Amy hat immer noch etwas Höhenkrankheit – wie jeder hier. Mich nicht ausgenommen. Gerade eben hat sie getestet, wie gut man während einer Busfahrt eine Stunde altes Frühstück aus meiner Hose entfernen kann. Es geht eigentlich leicht. Allerdings lässt sich die Höhenkrankheit nicht so leicht bekämpfen. Wir nehmen abwechselnd Sauerstoff aus dem Druckbehälter. Nach ein paar Minuten Sauerstoff ist der Kopfschmerz fast weg, der aber wenig später wieder eintritt, wenn die Flasche nicht mehr da ist. Unser Gesundheitszustand lässt sehr zu wünschen übrig. Es gibt viel Husten und Niesen; alles ein Ergebnis der geschwundenen Abwehrkräfte.

Auf dem Weg zurück haben wir noch eine ungewollte “Shoppingtour”:

Zuerst Preisen des weltberühmten Tibetanischen Tees (es wächst in Tibet nicht ein einziges Teeblatt!), während man hinter kleinen Tischen etwas gefangen sitzt und nicht leicht flüchten kann – dann unentgeltliches Verkosten einiger Teesorten, so dass man etwas Schuldbewusstsein entwickelt – danach öffnet sich die Tür und viele fleissige Chinesinnen tragen unglaubliche Mengen des eben verkosteten Tees herein – Shoppingtime. Ich stehle mich aus dem Raum, indem ich ein fürchterlich wichtiges Telefongespräch mit dem Vatikan vortäusche.

6. Tag: Lhasa – Shigazhe

Am Morgen verlässt ein Ehepaar unsere Gruppe und fliegt nach Hause. Die beiden können den Belastungen nicht mehr trotzen und geben auf. Natürlich hinterlässt das auch einen bitteren Eindruck auf die anderen Reisenden. Sind wir die nächsten?

Heute geht es mit dem Bus 350km von Lhasa nach Shigazhe. Dabei überqueren wir in 3500m Höhe einen Fluss, der dann einige tausend km weiter in Indien als Brahmaputra in den Ozean fliesst. An einem Salzwassersee in etwa 4420m haben wir gestoppt, um Bilder vom entfernt liegenden Mt Everest-Massiv zu machen. Dann weiter über einen 5040m hohen Pass. Alles ist hier schnee- und eisfrei und recht warm. Die Sonne ist der Hammer: Verboten wurde uns, ohne Kappe und richtige Sonnenbrille nach draussen zu gehen. UV ist hier zu stark.

Auf dem Pass hat es mich und einige andere wieder heftig mitgenommen. So einfach mal auf 5000m aufsteigen is nich.

Falls Ihr das aus dem Geographieunterricht nicht mehr wissen solltet: in 5000m Höhe ist der Luftdruck nur noch etwa 55%. Damit natürlich der Sauerstoff auch. Jetzt liege ich erholt in meinem Hotel in etwa 3800m Höhe. Diese Höhe findet unser Körper mittlerweile normal.

Das Mt Everest Basecamp haben wir uns nicht angetan. Wir wollen ja nicht nur durchhängen. Vielleicht beim nächsten Mal.

7. Tag: Shigazhe – Lhasa

Heute sind wir nach einer eher entspannten Busfahrt über 280km Landstrasse zurück in unserem Bett auf über 3650m in Lhasa. Höhenkrankheit ist vorbei, wir sind beinahe topfit. Nur nach schnelleren Bewegungen merkt man die Luftknappheit. So unterlassen wir auch bestimmte aufregende Aktivitäten bis morgen.

Auf der Fahrt machen wir wieder in einem heilmedizinischen College halt. Die Prozedur ist ähnlich wie beim ersten Mal: halbstündiger Rundgang durch ein Museum, in dem getrocknete Pflanzen hinter Glas zu betrachten sind, die in uralter Tibetanischer Tradition zur Heilung eingesetzt werden – danach geht es in einen schulklassenähnlichen Raum, in dem ein Dozent etwas in Chinesisch erklärt, was wohl mit Gesundheit zu tun haben muss, da er einen weissen Kittel trägt und ernst dreinschaut wie ein Arzt – darauf folgt die Erläuterung der Kunst des Handlesens und – wer hätte das vermutet – die Einladung zum Handlesen … natürlich kostenlos.

Als ich noch nach dem Haken an der Sache suche, kommen drei weitere „Handleser“ in den Raum und beginnen, einigen der Mittouristen aus der Hand zu lesen. Dazu werden A4 Zettel ausgehändigt, auf denen in Chinesisch und Englisch die zehn wichtigsten Heilmittel und deren Wirkung auf die Organe des Menschen aufgelistet sind. Beim Handlesen werden von den Heilern natürlich bei jedem Touristen einige Krankheiten entdeckt. Wunderbarerweise haben fleissige Schwestern in pinkfarbenen Kitteln gleich einen Bestellschein in der Hand, auf denen sie rasch die vorgeschlagenen Heilmittel auflisten und – nach einigem Nachfragen – den Preis daneben schreiben.

Da wir vor unserer Reise nach Tibet ein komplettes Blutbild bekommen hatten, bin ich um meine Gesundheit nicht so sehr besorgt. Der Arzt entdeckt in meiner Hand, dass etwas mit meinem dritten und vierten Halswirbel nicht in Ordnung ist und dass meine Leber ein Problem hat. Gleichzeitg sagt er mir aber, dass ich sehr gesund bin. Aha. Dachte ich mir schon. Wenn Du wissen willst, ob an Deinem Wagen der Blinker funktioniert, schaust Du in den Auspuff. Wow. Ich bin begeistert. Die vorgeschlagene Medizin kaufe ich nicht, obwohl meine Einkaufsliste mit EUR 80 eigentich ein Schnäppchen ist. Unser Seniortourist mit 75 Jahren, der jeden Morgen joggt und sich auch sonst topfit hält, kauft sich Medizin für über EUR 1800. Kein Kommentar.

Zum Schluss bekommen wir noch eine rasche Kopfmassage von den Ärzten. Wahrscheinlich will sich mein Masseur dafür rächen, dass ich nicht gekauft habe. Er drückt mit voller Kraft auf beiden Daumen von links und rechts an meine Schläfen, verharrt in der Stellung schier endlos, lässt los und fragt, ob ich mich besser fühle. Na sicher fühle ich mich besser, nachdem mein Kopf aus der Schraubzwinge ist. Ich habe ihn nicht gestoppt – bin ja kein Weichei. Nach einigen „normalen“ Massageaktionen greift er meinen Kopf mit einem Griff, den ich schon bei Rambo gesehen hatte. Glücklicherweise falle ich nicht kraftlos zu Boden, wie das die Opfer von Stallone zu tun pflegen.

Auf dem Rückweg nach Lhasa stoppen wir unterwegs – wie eigentlich eher selten – um einigen Mitreisenden die Möglichkeit zu geben, die abenteuerlichen Toiletten zu besuchen. Die „Toiletten“ sind schmutzige und sehr stinkige Häuschen mit einem Loch in der Mitte. Dieses Loch bietet ungeahnte Einblicke in die Essgewohnheiten ganzer Generationen von Tibettouristen. Nachdem ich einmal zum Besuch einer solchen „Institution“ Anlauf genommen hatte, lebe ich in stiller Absprache mit meinem Verdauungstrakt, dass über den Tag keinerlei grössere Geschäfte möglich sind. Die kleineren können glücklicherweise einfacher erledigt werden … jedenfalls bei den Boys. Nach einigen dieser Erfahrungen haben auch viele Frauen entdeckt, dass sie anatomisch garnicht soweit von den Männern entfernt sind.

Einer dieser Stopps hat noch einen zusätzlichen Effekt: Wir werden von einer „original Tibetfamilie“ ins Haus gebeten. Unser Reisebegleiter schwört, dass das rein zufällig passiert und nicht abgesprochen ist.
Wir gehen in den Hof, in dem allerlei Tiere unterwegs sind. Hund, Rinder, Schafe, Hühner und Schweine sind auf den ersten Blick auszumachen. Wie wir feststellen, wohnen die Tiere im Erdgeschoss des Hauses. Im Obergeschoss sehen wir etwas wie einen Freiluftflur mit einem Webstuhl, in dem sich Weberei befindet, einen Raum mit Kochstätte, Tisch und ein paar Betten sowie einen weiteren Raum mit vielen Truhen und Schlafgelegenheiten. Alles ist sehr sauber und aufgeräumt. Eine Leiter führt auf das Dach, auf dem wahrscheinlich Yakfladen (Yakkot) getrocknet werden. Ich werde das Gefühl nicht los, dass dieser „zufällige“ Besuch gut geplant ist und natürlich der tibetanischen Familie ein kleines Einkommen beschert. Das ist ok für mich. Der Lebensstandard in Tibet ist sehr niedrig. Wenn sich die Gelegenheit bietet, „spenden“ wir etwas Geld.

Buddhismus ist die vorherrschende Religion in Tibet. Daher findet man Tempel und Klöster nahezu überall. Beim Betreten eines solchen sollte man nicht versäumen, etwas für das eigene seelische Wohl zu tun. Dafür läutet man eine Glocke, die es oft am Eingang gibt, sozusagen der Vorgänger der Türklingel. Nach dem Eintreten orientiert man sich nach rechts, um die von links Entgegenkommenden beim Verlassen nicht zu behindern – die Einbahnstrasse ist erfunden. Im Tempel finden sich normalerweise viele Gebetsmühlen in unterschiedlichen Grössen, die Schrift oder Bilder tragen.

Die grösseren sind mannshoch. Wenn man noch mehr für seine Seele tun möchte, dreht man diese Mühlen, aber bitte immer im Uhrzeigersinn. Auf der Strasse begegnet man den tragbaren Ausführungen dieser Mühlen, die etwas grösser sind als ein Mobiltelefon und wahrscheinlich eine ähnliche Funktion erfüllen: der heisse Draht zum „Boss“. Die Männer haben eine etwas grössere Ausführung, mit der man wahrscheinlich eine grössere Reichweite hat, vielleicht das UMTS der Gebetsmühlen. Der Vorteil bei all dem scheint darin zu bestehen, dass diese Art Handy ohne SIM-Karte und Strom auskommt. Wir konnten nicht in Erfahrung bringen, ob damit auch Notrufe möglich sind. Gibt es die 110-Mühle?

In Tibet gibt es bedenklich viele Sünder. Diese Sünder sind daran zu erkennen, dass sie sich ausschliesslich betend, das heisst auf den Boden werfend fortbewegen. Das geht so: lang hinlegen zum Beten und dabei mit ausgestreckten Armen einen kleinen Gegenstand vor sich platzieren – aufstehen und bis zum Gegenstand nach vorne gehen – wieder lang hinlegen und so weiter. Wohl dem, der eine stattliche Körpergrösse hat. Die kleinen tibetanischen Chinesen haben da eher einen anatomischen Nachteil.

Die Sünder sind überall anzutreffen, sogar mitten auf der Strasse in der Stadt. Leider konnten wir nicht herausfinden, wie die Betenden eine Ampelkreuzung überqueren; was passiert, wenn die Ampel auf Rot schaltet? Uns wurde gesagt, dass viele dieser „Sünder“ diese Prozedur monatelang oder sogar jahrelang auf sich nehmen. Einige der Buddhisten kommen aus weit entfernt liegenden Gegenden des Tibetanischen Plateaus und „beten“ sich bis zum allerhöchsten Heiligtum, dem Jokhang Tempel in Lhasa durch.

Eine Runde Beten um den Potalapalast ist durchaus in ein paar Tagen machbar. Wir schätzen, dass diese läppische Runde für eine kleine Sünde sein muss wie etwa „seinem Ehemann ein nicht ganz kaltes Bier servieren“. Wir nehmen an, dass die Strafe für etwas Grosses wie Ehebruch drakonisch sein muss – vielleicht betend bis zum Mt Everest und zurück?

Die betenden Sünder sind allerdings ganz gut vorbereitet. Sie tragen Knieschoner aus Leder oder Holz, die wohl den Aufprall beim Hinlegen abfedern und Bodenunebenheiten ausgleichen sollen. So etwas wie „der Ski am Knie“. Manche schieben Matten vor sich her. Ausserdem sind die Hände bei vielen in Holzschuhe oder derbe Handschuhe gekleidet, die zwar nicht sehr elegant aussehen, dafür aber einen guten Schutz für die Hände bieten sollten. Daher kommt wohl der Name „Handschuh“? Vielen Betenden sieht man an, dass sie seit langer Zeit unterwegs sind. Die Kleidung ist abgerissen und unheimlich schmutzig. Auch der Körper zeigt kein Zeichen von kürzlicher Reinigung. Uns ist schleierhaft, wie die Betenden ihr Geschäft verrichten.

Die Heimreise nach Singapore über KunMing am nächsten Tag verläuft unspektakulär. Neu ist, dass beim Betreten eines Flughafens in China vor einem internationalen Flug auch Temperatur gemessen wird. Dazu sind Über-Kopf-Scanner installiert, die fast problem- und reibungslos ihren Job erledigen. Unter bestimmten Umständen haben diese Scanner eine heilende Wirkung: Nach dem Scannen werde ich von einer netten Chinesin mit dem Namen 47312 auf dem Namensschild freundlich aber bestimmt zurückgehalten. Offensichtlich ist meine Temperatur zu hoch. Ich werde gebeten, noch einmal unter den Scanner zu treten. Und noch einmal. Und noch einmal.

Und noch einmal. … Nach dem siebten Scannen lächelt sie freundlich und lässt mich passieren. Offensichtlich ist unter dem Eindruck des chinesischen Heilscanners mein Fieber zurück gegangen. Gesund und ohne Verdacht auf H1N1 kann ich meinen Weg durch erste Sicherheitskontrolle, Gesundheitserklärungsabgabe, Check-In, erstes Stempeln des Boardingpasses, zweite Sicherheitskontrolle, Scannen und zweites Stempeln des Boardingpasses zum Flieger fortsetzen. In Jahrtausenden gesammelte Erfahrungen um die Gesundheit und die Wirkungsweise des menschlichen Körpers sind in China allgegenwärtig.

Epilog

Noch etwas für diejenigen, die auch Tibet auf der Wunschliste haben: Man sollte vorbereitet sein. Leider kann man Leben in grosser Höhe nicht trainieren – ausser in grosser Höhe oder vielleicht bei der NASA. Gute Medizin und Versorgung sind das A und O. Das Erschreckende ist, dass der Kopfschmerz vom Sauerstoffmangel anders ist, als der normale Kopfschmerz oder Migräne. Unsere normale Medizin hat es nicht getan. Habe lange nicht mehr vor der Kloschüssel gekniet, bevor wir nach Tibet gestartet sind.
Unser Reiseveranstalter hatte uns einige Tips gegeben:

1. Vor der Reise grosse Mengen trinken, um den Wassergehalt im Körper zu erhöhen – gut schlafen, um den mangelnden Abwehrkräften in grosser Höhe mit einem gesunden Körper vorzubeugen – gut, d.h. vitaminreich und nährstoffreich essen, da der Körper auf grosser Höhe mehr Energie verbrennt und man einige Reserven braucht.

2. Grosse Mengen an schnell wirkender kohlehydratreicher Kost mitnehmen, wie beispielsweise Müsliriegel, Schokolade und Traubenzucker (Glukose) – Aspirin sollte im Gepäck sein, um das Blut zu verdünnen und damit den Blutkreislauf entlasten zu können – Medizin gegen die Höhenkrankheit sollte nicht fehlen.

3. Während der Reise sollte man grosse Mengen Wasser trinken – nie eine Mahlzeit auslassen und sogar zwischen den Mahlzeiten immer etwas knabbern. Über Nacht am Bett sollte man Wasser und Süssigkeiten haben. Man sollte sich Zeit für alles nehmen und schnelle Bewegungen unterlassen. Eine Anstrengung zur falschen Zeit kann fatale Folgen haben.

Allerdings hat man auf 3600m Höhe in Lhasa in den ersten beiden Tagen keine Lust, etwas zu essen. Über Nacht zwingt man sich zu trinken und zu knabbern, da man sowieso nicht schlafen kann, und am Morgen gibt man das dann fast unverbraucht zurück.

Auf Höhen über 4000m merkt man sehr deutlich, dass der Körper nicht ganz in Ordnung ist. Zu jeder Bewegung muss man sich überreden. Allerdings macht es keinen Sinn, den Trip nach Tibet zu planen und zu bezahlen und dann die Tage in Lhasa im Bett zu verbringen. Also „überredet“ man sich zum nächsten Ausflug. In jedem Hotel und jeder Drogerie gibt es Sauerstoff aus der handlichen Druckflasche zu kaufen mit zwei Schläuchen für die Nase. Diese Flasche leistet einen guten Dienst gegen den Kopfschmerz, ist allerdings nur gut für ein paar Minuten. Daran kann man sich gewöhnen. Ein gutes Geschäftskonzept.
Jetzt kann ich mir auch vorstellen, wieso einige in der Höhe durchdrehen. Nerven werden unterversorgt. So hatte ich beispielsweise unterwegs auf dem 5000er Pass Probleme mit dem Lesen meines Telefons. Das ist ein nicht so nettes Gefühl. Ich dachte ernsthaft, ich wäre dort oben ganz einfach mal ein paar Jahre gealtert. Gott-sei-Dank sind aber meine Sinne vollständig wieder hergestellt – soweit man das überhaupt selbst beurteilen kann…

Frank entdeckte nach ein paar Tagen in Tibet einen schwarzen Fleck auf dem linken Auge. Da das rechte noch tadellos funktionierte, machte er sich keine weiteren Gedanken. Sein Arzt in Deutschland meinte, dass das auch mit der Unterversorgung an Sauerstoff zu tun gehabt hätte. Er hätte wohl einen Mikroinfarkt in der Nähe des Sehnervs erlitten.

Ausserdem ist die Luft in Tibet extrem trocken, was zu aufgesprungenen Lippen und ausgetrockneten sowie gereizten Nasen- und Rachenschleimhäuten führt. Viel Trinken hilft. Alkohol Trinken ist aber eine sehr schlechte Idee.

Generelle Gegenmassnahme vom Arzt empfohlen: Die Höhe ganz schnell verlassen…

In der Wüste

Katar ist ein Emirat im Osten der Arabischen Halbinsel im Persischen Golf. Die Monarchie hat eine Fläche von nur 3% der deutschen und etwa 2,7 Mio Einwohner, von denen bloß etwa 12% Katari sind. In unserem Hotel in der Hauptstadt Doha arbeiten beispielsweise Philippinos, Chinesen, Malaien und andere Nationen. Im Supermarkt werden wir von Philippinos, Indern und Pakistanis bedient. Katari sind nicht in derartigen Jobs zu finden. Sie besitzen in der Regel den Laden … und den daneben … und ein paar Häuser in Katar … und in London …

Print Friendly, PDF & Email
Taobao

Der Chinesische Otto

Letztes Wochenende waren wir bei unserer Kleinen zur Einzugsfeier eingeladen. Pearl und Shane hatten nicht groß aufgefahren, sondern kleine Speisen für die Oldies ausgewählt. Wir hatten so angeregte Unterhaltung über…

Print Friendly, PDF & Email

Im Vulkan

Lake Toba (Toba-See) ist der größte vulkanische See der Erde und liegt auf der riesigen Insel Sumatra in Indonesien. Toba wurde vor etwa 75 tausend Jahren durch die Eruption des gleichnamigen Vulkans gebildet, als der Deckel des Vulkans mit der Fläche des Landkreises Saalfeld-Rudolstadt, aus der Erde gerissen und in die Atmosphäre geschleudert wurde, wobei ein Krater von 500 Metern Tiefe entstand.

Print Friendly, PDF & Email

Über Singapore2010

Ja, hallo erstmal. Ich weiß gar nicht, ob Sie es wussten … vom 14. bis 26. August 2010 wurden in Singapore die ersten Olympischen Jugendspiele ausgerichtet.

Print Friendly, PDF & Email

Essen in Singapur

Nein, Essen liegt nicht in Singapur. Das war bei unserem letzten Deutschlandtrip noch immer in NRW.

Es geht um Speisen. Beim Beobachten von Singapur-Touristen kann ich immer wieder erheitert feststellen, wie sie krampfhaft versuchen, ihren täglichen Essgewohnheiten nachzugehen.

Print Friendly, PDF & Email
PISA

PISA-Ergebnisse – keine Überraschung

Nachdem ich mich vor vielen Jahren schon einmal mit PISA beschäftigt hatte, wurde ich vor ein paar Tagen wieder damit konfrontiert. Dabei musste und muss ich feststellen, dass es einen…

Print Friendly, PDF & Email

Luciano Pavarotti

Vor etlichen Jahren wurde ich von General Electric eingestellt, um den Amerikanern in deren deutschen Banken bei der Prozessoptimierung zu helfen. Dazu durfte ich viele Wochen in entsprechenden Trainings in London und Stamford/Connecticut zubringen. Das erste Training erstreckte sich über eine Woche und wurde in einem Flughafenhotel in Heathrow ausgerichtet.

Print Friendly, PDF & Email

Eindrücke aus China

Wir hatten China seit mehreren Jahren nicht besucht und konnten uns daher bei unserem Besuch in Fujian im Juli 2023 sehr leicht ein Bild von den Veränderungen machen. Die Infrastruktur…

Print Friendly, PDF & Email

Das Jahr des Schweins

In einer Woche beginnt im chinesischen Teil der Welt das Jahr des Schweins. Das Schwein ist das letzte Zeichen im chinesischen Kalender. Als der Buddhistische Götterkönig, der Jadekönig, zum großen Treffen aufrief, kam das Schwein zu spät. Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge wurde das Schwein auf dem Weg hungrig, stoppte für eine Mahlzeit – vielleicht bei McDonalds – und fiel nach dem schweren Essen in einen tiefen Schlaf. Erst nach Stunden erreichte das Schwein verspätet das Meeting.

Print Friendly, PDF & Email

Im Südpazifik II

Es ist Zyklonzeit im Südpazifik. Unser kleiner Flieger von Neuseeland nach Tongatapu liegt etwa so stabil in der Luft, wie Harald Juhnke nach einer Party, so dass wir uns mehrfach…

Print Friendly, PDF & Email
Print Friendly, PDF & Email

Comments

No comments yet. Why don’t you start the discussion?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert