Nach der Niederschlagung der Japaner im Jahre 1945 ging die Macht in China für kurze Zeit an General Chiang Kai-shek, der mit Mao Zedong einen Pakt gegen Japan geschlossen hatte. Kurze Zeit später übernahm Mao mit seiner Kommunistischen Partei die Herrschaft in China, worauf Chiang Kai-shek mit seinen Anhängern auf die Insel Formosa, die heutige Hauptinsel von Taiwan, fliehen musste. Als Ergebnis gibt es auch heute noch zwei China, die Volksrepublik und die Republik. Irgendwie kommt mir das bekannt vor.
Auf einem Job für VW, die in der Nähe der Hauptstadt Taipei zusammen mit Honda Kleintransporter zusammenschrauben, hat mich unser Kunde in einem netten chinesischen Hotel in der Mitte von Taipei einquartiert. Bei meinem abendlichen Rundgang stelle ich fest, dass ich in einem soliden Geschäftsviertel wohne. Auf beiden Seiten der Straße gibt es Sargmacher. In großen Schaufenstern kann ich mich über unterschiedliche Beschaffenheit und Ausstattung der letzten Ruhestätte kundig machen. Da Langzeitplanung sowieso nicht mein Ding ist, mache ich mich auf, um andere Teile von Taipei zu erkunden.
Irgendwo hatte ich gesehen, dass es einen Nachtmarkt geben sollte. Diese Märkte sind oft auf den Geschmack von Touristen getrimmt. Daher haben sie meist etwas Sehenswertes zu bieten. Natürlich sind auf dem Markt allerlei Speisen zu haben, an denen ich mich gerne bediene. Vor den Gaststätten und Futterständen türmen sich Aquarien mit Fischen, die sich seelisch und moralisch auf ihr Ende vorbereiten. Außerdem stehen da Körbe mit Krabben, Krebsen und Hummer, die wohl auch keine Zukunft haben.
Nun erblicke ich einen Korb mit Schlangen vor einer der Buden, an der sich eine kleine Menschenmenge gebildet hat. Jetzt sehe ich den Grund für die Menschenansammlung. Vor dem Haus steht ein Verkäufer, der einem Marktschreier auf dem Hamburger Fischmarkt ähnelt – nicht im Aussehen, aber im Geschrei. Ich muss nicht zu nahe treten, da ich mit meiner Körpergröße in diesem Teil der Welt in der Regel den Überblick habe. Nun sehe ich den Marktschreier mit einem zangenähnlichen Gerät in einen der Schlangenkörbe greifen und ein etwa meterlanges Tier zutage befördern.
Die Schlange findet das sichtlich irritierend und versucht, am Schwanz aufgehängt, den Typen zu erreichen. Im Gegensatz zur Schlange hat der Typ Routine in dem Job. Er greift mit einem geübten Griff den Kopf der Schlange und sichert das Maul mit einer Klammer ab – immer unter dem Gejohle der Umstehenden. Nun erklärt er irgendwas, was ich nicht verstehe aber später leicht Googeln kann. Dabei deutet er auf die neben ihm aufgehängte Schlange, die sich immer noch redlich bemüht, der Situation zu entkommen. Bevor ich über Tierquälerei nachdenken kann, hat der Typ auch schon ein Messer zur Hand.
Während er die Schlange mit der linken Hand da festhält, wo ich die inneren Organe vermuten würde, schneidet er mit dem Messer in der rechten Hand die Schlange der Länge nach auf. Dabei wird das herabtropfende Blut von einem Gehilfen aufgefangen. Dann greift er in die Schnittwunde und holt ein Organ heraus. Das Organ wird unter anwachsendem Gejohle der Umstehenden in ein Schnapsglas mit einem offensichtlich starken Alkohol versenkt und an den Meistbietenden verkauft. Während ich auf dem Nachhauseweg an den Särgen vorbei bummele, habe ich keinen Hunger mehr.
Natürlich weiß ich, dass es in Asien überall Wein zu kaufen gibt, in dem eine Schlange schwimmt. Und natürlich habe ich schon gehört und glaube mittlerweile, dass Schlangenorgane heilende Wirkung auf unseren Körper ausüben. Jedes gute Chinesische Krankenhaus bietet derart Heilmittel an. Aber es ist schon eine andere Sache, das Ganze vor den eigenen Augen zu erleben.
Vor meinen Augen wurde gerade eine lebendige Schlange zerlegt und die Einzelteile verkauft. Das noch warme Schlangenblut ging als Erstes über den Ladentisch. Dann folgte die Galle, der besondere Heilwirkung nachgesagt wird. Die Heilwirkung soll je besser sein, umso giftiger die Schlange ist. Und danach ging der Rest. Auf diesem Markt bekommst Du an mehreren Ständen Schlangenfleisch und Schlangensuppe zu kaufen. Nicht teuer.
Leider kann ich keine Bilder der Prozedur bieten, da ich beim Anheben meiner Kamera mit strafenden Blicken bedacht wurde. Daher nehme ich an, dass das Erlebte wohl doch nicht ganz dem Gesetz entspricht.